Jeder kennt Hans Christian Andersens Märchen vom Kaiser und seinen neuen Kleidern. Ein gieriger, selbstherrlicher Machthaber, der letztlich bloßgestellt wird, weil er nackt und beschämt vor seinem Volke steht. Ähnlich könnte es in Zeiten der Corona-Krise mit aktuell regierenden Populisten ablaufen. Trump, Erdogan, Bolsonaro, Putin – bloßgestellt als unfähig und selbstherrlich.
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Denn was passiert, wenn Populisten nicht mit Scham, sondern mit Wut und Ignoranz darauf reagieren, bloßgestellt zu werden, war vor wenigen Tagen in Brasilien zu beobachten. Dort sollte der rechtsextreme Präsident Jair Bolsonaro eigentlich für zwei Wochen in Isolation sein. Denn nach einem Staatsbesuch in den USA waren 13 Mitglieder seiner Delegation, darunter Bolsonaros Kommunikationschef Fabio Wajngarten, positiv auf Corona getestet worden.
Bolsonaro schüttelte Hände, posierte für Selfies, umarmte Menschen. Und das als unmittelbare Kontaktperson zahlreicher Corona-Infizierter. Fahrlässiger geht’s nicht.
Die Corona-Krise entfacht eine bezeichnende Nebenwirkung: Sie greift das “zentrale Nervensystem” (sueddeutsche.de) des Populismus an. So wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern stehen seine Leitfiguren politisch plötzlich ohne Hemd und Rock da. Ihre Destruktivität, Konzeptlosigkeit und Inkompetenz sind für jedermann sichtbar.
Die Kur, die Großbritanniens Brexit-Premier Boris Johnson vorschwebt, erinnert an spätmittelalterliche Quacksalber; diese predigten gern Selbstgeißelungen als Vorbeugung gegen den Schwarzen Tod, die Pest. Und US-Präsident Trump schiebt wie stets anderen die Schuld zu, nämlich der EU. Er sieht sinistre Kräfte am Werk, die US-Demokraten, und erzählt, was seinen Zwecken gerade dient.
Diesmal könnte der Erfolg ausbleiben. All das eigensüchtige Gebaren hat nur eines erreicht: Die USA, das Vereinigte Königreich, Brasilien verloren noch mehr wertvolle Zeit im Kampf gegen die Pandemie als andere.
Die USA in Zeiten des Coronavirus sind ein gutes Beispiel, warum Populismus gefährlich sein kann. Denn Trump hat die Epidemie von Anfang an nicht als Gesundheits-, sondern als “Public-Relations-Problem“ (welt.de) begriffen. Das Virus war für Trump eine Gefahr für sein Image und seine Wiederwahlchancen. Deshalb hat Trump das Problem und den wahren Ernst der Lage verschleiert, statt sein Amt dazu zu nutzen, die Bürger zu den nötigen Verhaltensänderungen aufzurufen, die eine Verbreitung des Virus verlangsamt hätten.
In den sozialen Medien kann die AfD in Deutschland nicht mehr wie gewohnt Themen setzen. AfD-Politiker Georg Pazderski versuchte es mit einer Polemik gegen junge Leute und speziell Fridays-for-Future-Aktivisten, da diese angeblich keine Rücksicht auf Risikogruppen nehmen würden. Dazu teilte Pazderski ein Video, in dem sich Jugendliche nacheinander einen Lutscher in den Mund steckten. Der Haken an der Sache: Das Video dieser „Lolli-Challenge“ stammt nicht aus Deutschland und ist bereits fünf Monate alt (tagesschau.de).
In der aktuellen Krise suchen die Menschen offenbar nach sachlichen Informationen und gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen statt nach populistischer Stimmungsmache und alternativen Fakten. Die Einschätzungen von Virologen und anderen Forschenden sind derzeit so gefragt wie nie. Zwar kursieren Falschmeldungen, doch die speisen sich eher aus Gerüchten.
Was wir gar nicht brauchen können, ist unqualifiziertes Propagandageschwätz …