Nach der Verhaftung eines Anwalts der deutschen Botschaft in Ankara ist die Bundesrepublik um Schadensbegrenzung bemüht. Bei der Festnahme im September sollen sensible Daten von 47 Asylbewerbern, die in Deutschland Zuflucht suchen, in die Hände der türkischen Sicherheitsbehörden geraten sein. Ihre Anträge werden nun voraussichtlich vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bewilligt und ihnen Schutz in Deutschland gewährt.

Der türkische Rechtsanwalt Yilmaz S. sollte in der Türkei im Auftrag des Auswärtigen Amtes klären, ob die Asylbewerber dort juristisch verfolgt werden. Aus Sicht der Bundesregierung und des Bamf ist dies „eine gängige Praxis“, der Jurist soll auch für Norwegen und die Niederlande Recherchen für Asylverfahren übernommen haben. Die Türkei wirft dem Anwalt Spionage vor. Er war bereits am 17. September verhaftet worden.

Medien in der Türkei hatten berichtet, Yilmaz S. würden „Verbindungen zu einer Terrororganisation“ vorgeworfen. Nach Presseinformationen (sueddeutsche.de) erhebt die zuständige Staatsanwaltschaft aber einen anderen Vorwurf: Spionage für Deutschland. Hintergrund könnte sein, dass Yilmaz S. als sogenannter Kooperationsanwalt für das Auswärtige Amt gearbeitet hat. Kooperationsanwälte sollen die Angaben überprüfen, die Asylbewerber in Deutschland gegenüber dem Bamf machen. Ein Sprecher des Bamf bestätigte auf Nachfrage, dass „im September 2019 ein für die Botschaft in Ankara tätiger Kooperationsanwalt“ (a.a.O.) in Untersuchungshaft genommen wurde. Es sei davon auszugehen, dass auch Unterlagen zu Asylverfahren in die Hände der türkischen Behörden gelangt seien. Die Betroffenen wurden bzw. werden zeitnah persönlich über die Situation informiert.

Es dürfte sich dabei mehrheitlich um kurdische Aktivisten oder Gülen-Anhänger handeln. Präsident Erdogan hat Deutschland immer wieder vorgeworfen, angebliche Hintermänner des Putschversuchs von 2016 zu beherbergen.

Bundesaußenminister Heiko Maas hat bei seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu gegen die Verhaftung eines Anwalts der deutschen Botschaft in Ankara protestiert. „Ich habe ihm noch einmal gesagt, dass wir eigentlich kein Verständnis dafür haben“, sagte der SPD-Politiker am Samstag nach einem Treffen mit Cavusoglu am Rande des G-20-Treffens im japanischen Nagoya (welt.de). Es sei ein Fall, der wie viele andere Inhaftierungen „nicht nachvollziehbar“ sei. Cavusoglu habe ihm gesagt, dass der Fall von der türkischen Justiz geprüft werde. Man wolle im Dialog darüber bleiben. Ein schwacher Trost …

Der Fall schlägt indes Wellen. Bei seiner Verhaftung soll Yilmaz S. einige Dutzend Akten von Menschen bei sich getragen haben, die Asyl in Deutschland beantragt haben. Nach seiner Verhaftung wurde zudem seine Kanzlei durchsucht. Die Polizei könnte bei der Durchsuchung bis zu 280 entsprechende Akten beschlagnahmt haben (presseportal,de). Deutsche Sicherheitsbehörden haben mittlerweile mehrere in Deutschland lebende Asylsuchende informiert, dass ihre Namen und möglicherweise weitere Informationen nun den türkischen Behörden bekannt sein könnten. Bei den Betroffenen handelt sich mehrheitlich um kurdische Aktivisten und Anhänger der Gülen-Bewegung.

In den letzten Jahren haben zudem immer wieder Festnahmen deutscher Staatsbürger in der Türkei – etwa wegen Terrorverdachts – für Aufsehen gesorgt. Derzeit sitzen 60 Deutsche (handelsblatt.com) in türkischen Gefängnissen, 55 können das Land aufgrund von Ausreisesperren nicht verlassen. Das Außenministerium sagt allerdings nicht mehr, wie viele Fälle davon einen politischen Hintergrund haben.

Nun muss aber das, was international üblich und aus Sicht des Botschafters zulässig ist, nicht zwangsweise mit türkischem Recht übereinstimmen. Auch wenn die Türkei in unseren Augen kein funktionierender Rechtsstaat ist: Sie hat Gesetze und sie wendet diese manchmal auch an.

Für den Kooperationsanwalt könnte das unangenehm werden, denn Spionage ist auch in der Türkei ein sehr schwerwiegender Vorwurf. Doch nicht nur ihm droht Ungemach: Sollten durch seine Festnahme die türkischen Behörden wirklich in den Besitz sensibler Daten von nach Deutschland geflüchteten Türken gelangt sein, dürfte in Einzelfällen Gefahr für Leib und Leben bestehen.

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