Gibt es sie wirklich, die „Entglobalisierung“, oder ist das alles nur ein neues Modewort, das durch die Fachliteratur geistert? Sicher ist: In vielen westlichen Ländern haben Populisten Aufwind, die der Bevölkerung vorgaukeln, dass mit mehr Zollschranken die Beschäftigung zurückkehrt. Sicher ist auch, dass seit der Finanzkrise die einstigen Treiber der Globalisierung, die Banken und Finanzinstitute, an Glaubwürdigkeit eingebüßt haben. Und eine weitere Entwicklung lässt sich festmachen: Der globale Handel hat nicht mehr die Dimensionen angenommen, die er vor der Finanzkrise hatte.
Nach dem Fall der Berliner Mauer vor 30 Jahren begann eine neue Phase der Globalisierung. Sie verstärkte sich noch mit dem Beitritt von China zur Welthandelsorganisation im Dezember 2001. Doch diese Ära gehe möglicherweise zu Ende, sagt Claudia Buch, Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank (nzz.ch). Es sei weltweit ein erheblicher Vertrauensverlust in die Bindung von internationalen Verträgen und in eine andauernde internationale Kooperation zu spüren. Internationale Wertschöpfungsketten, ein wichtiger Motor der Integration von Märkten, seien fragil geworden. Unternehmen könnten sich weniger auf solche Lieferketten stützen als in früheren Jahren und würden sich entsprechend darauf einstellen.
Sind wir schon im Zeitalter der Entglobalisierung angekommen? Schauen wir 50 Jahre zurück, zeigt sich, dass es verschiedene Phasen in der Globalisierung gab. In einer ersten produzierten Firmen aus einem Land Produkte für den Weltmarkt. Die ganze Arbeit – die Wertschöpfungskette – wurde in einem Land verrichtet. Große US-Konzerne fingen in einem zweiten Schritt an, diese Wertschöpfungskette zu durchbrechen. Heute ist der Ort, an dem etwa ein Auto designt wird, wo die einzelnen Komponenten gefertigt und der Ort, wo die Teile zusammengesetzt werden, oft nicht der gleiche. In der Theorie hätte das nicht nur zu tieferen Produktionskosten, sondern auch zu mehr Wohlstand führen sollen.
Im Gegensatz zur landläufigen Meinung ist die Globalisierung keineswegs neokolonialistische Ausbeutung im Quadrat. Die Statistiken zeigen immer wieder, dass alle Drittweltländer, die sich auf die Globalisierung eingelassen haben (zum Beispiel in Asien und in Afrika), viel schneller wuchsen als die Verweigerer (Mittelost minus Israel und die „Gulfies“). Die Löhne stiegen, und der Abstand zur sogenannten „Ersten Welt“ schrumpfte. So stand´s im Lehrbuch, so ist es eingetreten …
Der harte Absturz, den viele Länder erlebten und derzeit erleben, rührt daher, dass sich die Volkswirtschaften im Zuge der Globalisierung zunehmend spezialisiert haben. Diese Spezialisierung auf einen verengten Kanon von Branchen und Aktivitäten bringt zwar Produktivitätsgewinne, die sich in den vergangenen Jahren insbesondere im steigenden Wohlstandsniveau der Schwellenländer und in üppigen Unternehmensgewinnen niedergeschlagen haben. Aber es gilt auch: Keine höhere Rendite ohne höheres Risiko. Volkswirtschaften mit einseitigem Branchenportfolio werden härter von weltwirtschaftlichen Schocks getroffen, sie sind weniger krisenresistent. Ein Effekt, den die klassische Außenhandelstheorie gern ignoriert.
Also „Repatriierung“ von Produktionskapazitäten?
Dies kann beispielsweise dazu führen, dass Konzerne einige der im Ausland geschaffenen Produktionskapazitäten wieder nach Deutschland oder Europa zurückholen. Es ist bereits viel Vertrauen in internationale Prozesse verloren gegangen. Und es wird lange dauern, dieses Vertrauen wiederaufzubauen. Wie stark sich diese Effekte auswirkten, ist kaum zu beziffern. Eine etwaige Entglobalisierung würde sicherlich mit Wohlfahrtsverlusten einhergehen. Bereits jetzt haben verhängten Zölle Auswirkungen auf den Welthandel. Deutschland ist aufgrund seiner offenen und exportorientierten Volkswirtschaft im weltweiten Vergleich besonders exponiert.
Wenn es um die Frage geht, woran die Weltwirtschaft krankt, ist der Schuldige häufig schnell gefunden: die Globalisierung! Auch die Welle des Populismus im Westen führen viele Kommentatoren auf die Globalisierung zurück, die für die jahrelange Lohnstagnation verantwortlich gemacht wird. Eine Umkehr der Globalisierung ist aber nicht ungefährlich, da sie nach Expertenansicht mit hohen Kosten und Verwerfungen für alle Regionen dieser Welt verbunden wäre (Toby Nangle, Global Co-Head of Asset Allocation, in fundresearch.de, 10.07.2017).
Die Errungenschaften der Globalisierung werden unterschätzt, ihre positive Wirkung als selbstverständlich hingenommen. Umso wichtiger ist die Frage nach den Folgen einer Entglobalisierung für Menschen, Unternehmen und die Finanzmärkte.