Vorgänge wie diese bringen die Regierung in Peking in höchste Not. Denn bislang gründete sie ihre Legitimität darauf, die 1,3 Milliarden Chinesen mit kontinuierlich wachsendem Wohlstand zu versorgen. Die Menschen bekamen Kleidung, Kühlschränke und Autos. Im Gegenzug ließen sie die Herrscher in Ruhe. Funktioniert dieser Deal nicht mehr, könnte die Partei schnell in Bedrängnis geraten.
Aus Angst, die Wirtschaftskrise könnte das ganze System zum Einsturz bringen, greift in Peking die Panik um sich. Kaum eine Woche vergeht, in der die Regierung nicht neue Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur ankündigt. Für mehr als 450 Milliarden Euro will die Regierung in den kommenden Jahren neue Flughäfen, Eisenbahnlinien und Straßen bauen lassen (wiwo.de).
Ja, auch die chinesische Mauer bröckelt.
Der Fall der Berliner Mauer hat zu einer neuen Ära der Freiheit in Europa geführt, während die Herrscher Chinas ein auf Unterdrückung aufbauendes ökonomisches Kraftzentrum schufen.
Inzwischen scheinen die Erweiterung der EU und jene der Nato – ja sogar der Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 – historisch weit weniger bedeutsam zu sein als Chinas spektakulärer Aufstieg nach 1989. Zur Erinnerung: 1989 betrug das Bruttoinlandsprodukt Chinas 8,2 Prozent des amerikanischen BIP. Heute liegt es laut Internationalem Währungsfonds bei 66 Prozent (nzz.ch).
Wachstum bringt gewöhnlich eine Mittelklasse hervor, und diese Mittelklasse will mehr als hohle Phrasen – selbst wenn sie keine Demokratie erwartet. Auch im heutigen China gibt es solche Leute – man denke an den Künstler Ai Weiwei – und ihre tiefe Unzufriedenheit mit dem Einparteistaat ist im Grunde wesensgleich mit der ihrer mitteleuropäischen Vorläufer.
Als Lehre aus 1989 sollte man nicht auf ein Regime wetten, das im Wesentlichen immer noch auf Lenins und Stalins Einparteistaat beruht. Gut – 70 Jahre nach ihrer Gründung ist die Volksrepublik zweifellos in besserer Verfassung als die Sowjetunion 70 Jahre nach der bolschewistischen Revolution. Zudem sind ihre Führer fest entschlossen, die Fehler der Sowjetunion nicht zu wiederholen. Deshalb wird es in China keine politische Transparenz („Glasnost“) geben – nicht einmal in Hongkong, und entsprechend in nicht allzu ferner Zukunft auch nicht in Taiwan.
Die chinesische Regierung ermutigt Banken, mehr Kredite zu vergeben. So will man den Folgen des Handelskrieges mit den USA entgegenwirken – eine riskante Rechnung. Denn mittlerweile wächst der Schuldenberg auf über 300 Prozent der Wirtschaftsleistung an.
Ökonomen warnen immer wieder vor einem explosiven Gemisch aus hoher Verschuldung und Preisblasen am Immobilienmarkt, an dem sich die nächste große Krise entzünden könnte. Die Regierung in Peking betont dagegen, dass die Schuldenrisiken insgesamt überschaubar seien.
Chinas Wirtschaftswachstum war im zweiten Quartal mit 6,2 Prozent so schwach ausgefallen wie seit 27 Jahren nicht mehr (n-tv.de, 18.07.2019), da die Nachfrage im In- und Ausland angesichts des Handelsstreits mit den USA nachließ. Um Investitionen anzukurbeln und Arbeitsplätze zu sichern, hat die Regierung Banken ermutigt, mehr Kredite zu vergeben, insbesondere an kleine Unternehmen. Sie hat auch Milliarden von Dollar an Steuersenkungen und Infrastrukturausgaben angekündigt.
Der Masterplan „Made in China 2025“, der die Volksrepublik zur technologischen Weltmacht erheben sollte, findet keine Erwähnung mehr. Dafür stehen jetzt die wirtschaftlichen Probleme der Volksrepublik im Vordergrund. Denn die chinesische Wirtschaft ist im Jahr 2017 noch um 6,9 Prozent gewachsen. Im vergangenen Jahr ging die Wachstumsrate auf 6,6 Prozent zurück, und für 2019 visiert die Regierung nur noch einen Zuwachs von 6 bis 6,5 Prozent an.
Woran erkennt man die Blase in China?
Es gibt dort seit 40 Jahren einen Boom ohne jegliche Preiskorrektur. In den Geisterstädten Chinas sind 50 bis 60 Millionen leerstehende Wohneinheiten gebaut worden. Es gibt Autobahnen ohne Autos, Flughäfen ohne Flugzeuge. Nur weil es 40 Jahre funktioniert hat, heißt es nicht, dass es normal und gut ist.
Noch wächst China mit 6 bis 6,5 Prozent. Offiziell! Aber wir wissen seit Jahren, dass die chinesischen Zahlen nicht stimmen. Auch die damaligen 15 Prozent haben nicht gestimmt. Das spielte aber keine Rolle, es war Boom, da macht man bei zehn oder zwanzig Prozent keinen Unterschied. Aber ob es sechs Prozent oder nur zwei sind, macht einen Unterschied. Noch dazu, wenn das die Investoren sehen: Es geht nicht mehr nach oben, es geht nach unten. Es kommt nicht nur kein neues Geld herein, es wird das alte abgezogen.