Wo liegen die Grenzen der Meinungsfreiheit?

Bei der Meinungsfreiheit geht es eigentlich um die Meinungsäußerungsfreiheit, genauer: um die Freiheit, Meinungen auch dann äußern zu dürfen, wenn sie den Mitmenschen oder der Regierung missfallen. Während störende Meinungsäußerungen in autokratischen Gesellschaften oft gewaltsam von der Regierung unterbunden werden, gehen die Einschränkungen der Meinungsfreiheit in demokratischen Gesellschaften eher vom konformistischen Druck durch die Meinung der Mehrheit aus. Wer mit der Äußerung abweichender Gedanken auf Empörung stößt, wird sie lieber für sich behalten.

Nun mag man sich fragen, wozu es gut sein sollte, dass jemand Meinungen äußern kann, die andere gar nicht hören wollen. Menschen fühlen sich von anderen Wertvorstellungen und politischen Haltungen oft angewidert. Mill plädiert in seiner berühmten Schrift Über die Freiheit gleichwohl, das Unbehagen und die Verletzbarkeit durch empörende Meinungen auszuhalten, zum einen, weil sie den eigenen Horizont erweitern, zum anderen, weil sie einen nötigen, die eigene Meinung zu begründen – und einen merken lassen, wo solche Gründe fehlen. Meinungsfreiheit ist der Preis, den Menschen für die Fähigkeit zum kritischen Denken zahlen müssen.

Früher, vor dem Internet, waren diese Sub-Gesellschaften weitgehend voneinander abgegrenzt. Ein bayerischer Stammtischbesucher verirrt sich selten in ein autonomes Frauenzentrum. Unterschiedliche subkulturelle „Wahrheiten“ waren daher lediglich über die „öffentliche Meinung“ vermittelt. Doch heute haben im Internet alle die Möglichkeit, zu publizieren. Und deshalb sind die jeweils anderen „Gesellschaften“ immer nur einen Mausklick entfernt, und auf vielen Seiten und in Diskussionssträngen stoßen ihre Mitglieder oft sehr unbarmherzig aufeinander.

Das ist einerseits eine gute Sache, denn kein Mensch kann ständig mit allen über alles diskutieren. Die Auseinandersetzung mit Ähnlichdenkenden ist oft inhaltlich ergiebiger, als mit allen Themen immer wieder bei Adam und Eva zu beginnen, und es gibt es ja auch innerhalb jeder Community noch unendlich viele offene Fragen, also einen riesengroßen Bereich des „Diskutablen“.

Andererseits besteht natürlich auch die Gefahr, dass dadurch so genannte „Filterbubbles“ entstehen, also Blasen, in denen sich nur noch Gleichgesinnte miteinander austauschen und man das Sensorium für „die anderen“ verliert. Es ist zwar normal und unvermeidbar, dass Grenzen zwischen dem Diskutablen und dem Indiskutablen gezogen werden. Trotzdem gibt es natürlich einen Spielraum für mehr oder weniger Offenheit. Gesellschaften, die die Grenzen sehr eng und undurchlässig ziehen, geraten in Gefahr, zu versteinern. Gesellschaften, die überhaupt keine Grenzen ziehen, lösen sich hingegen tendenziell auf – was allerdings auch nicht immer etwas Schlimmes sein muss.

Seit einigen Jahren grassiert die aus den USA kommende Political Correctness, die im Duden definiert ist als „die von einer bestimmten Öffentlichkeit als richtig angesehene Gesinnung“. Selbsternannte Hüter der Political Correctness wachen über eine vorgeblich richtige Gesinnung. Alle relevanten Bereiche des gesellschaftlichen Lebens geraten so unter die Herrschaft einer Denk- und Sprachpolizei. Der britische Historiker und Träger des Karlspreises Timothy Garton Ash sieht in diesem Zusammenhang „eine Tyrannei des Gruppenveto“ und einen „drastischen Verlust an Freiheit“ (antaios.de).

Das Grundgesetz garantiert in Art. 5 Abs. 1 die Meinungsfreiheit – primär nur gegen den Staat, doch es bildet auch die Zielvorstellung einer freiheitlichen Demokratie ab. Wenn diese in Gefahr ist, kann das dem Staat nicht egal sein. Wenn aber in Rede steht, dass Bürgern ihr Recht auf freie Meinungsäußerung abgesprochen wird, dann muss zuvor festgelegt werden, was gesagt werden darf und was nicht. Wo also endet die schützenswerte Meinung? Was macht die Meinungsfreiheit so wichtig für eine funktionierende Demokratie? „Meinungsfreiheit ist für die Demokratie deshalb lebensnotwendig, weil keine Demokratie auf Dauer bestehen kann, wenn es ihr an Bürgerinnen und Bürgern fehlt, die sich am geistigen Meinungskampf beteiligen“ (Dr. Mathias Hong, Privatdozent für Öffentliches Recht an der Goethe-Universität Frankfurt/M., lto.de 19.05.2019).

Meinungsfreiheit endet da, so schon Mill, wo es zu Aufrufen zur Gewalt kommt. Die körperliche Unversehrtheit anderer ist schützenswerter als irgendjemandens Meinung.

Treffen unterschiedliche Meinungen aufeinander, ist man gezwungen, zu argumentieren, seine Meinung zu überdenken. Wir lernen, „kritisch zu denken“.

Political correctness kann ein Leitfaden sein, nimmt einem im Einzelnen aber die Arbeit zu denken nicht ab. Wer sich sklavisch der political correctness verschreibt, wird faul und zugänglich für Propaganda. Und da geht es nicht mehr um die Sache.

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