In der Weimarer Nationalversammlung bestand im Sommer 1919 die Überzeugung, mit der neuen Reichsverfassung die „demokratischste“ aller Verfassungen geschaffen zu haben. Um eine umfassende demokratische Partizipation zu gewährleisten, vermieden die Väter (und wenigen Mütter) der Verfassung die Festlegung auf eine rein parlamentarische Demokratie. Zwar sollte der Reichstag künftig die eindeutige Priorität der politischen Willensbildung besitzen, zugleich aber bestand die Befürchtung eines möglichen „Parlamentsabsolutismus“.

In der frühen Bundesrepublik wurden Weimar-Erfahrungen neu konstruiert, um das eigene, strikt repräsentative System und die tragenden Parteien zu legitimieren. Wie Fritz René Allemann 1956 (nzz.ch) konstatierte, war Bonn nicht Weimar, und Bonn sollte auch nicht Weimar werden. In dem Masse, in dem die Westdeutschen mit der Bundesrepublik eine stabile Demokratieerfahrung machten, die so ganz anders verlief als in der Weimarer Republik, stieg das Bedürfnis, sich von der trüben Vergangenheit abzugrenzen. Erst in den 1980er Jahren begann sich diese vorherrschende, eher negative Sicht auf die Weimarer Republik allmählich aufzulösen.

Ohne Superlativ ging es nicht: „Die deutsche Republik ist fortan die demokratischste Demokratie der Welt“, rief Reichsinnenminister Eduard David (SPD) am 31. Juli 1919 euphorisch in die Reihen der Nationalversammlung. Daraufhin schollen „Bravo!“-Rufe durch das Weimarer Nationaltheater.

Die demokratischste Verfassung? Vielleicht – aber dennoch eine, die nur wenige Jahre funktionierte. Warum? Schon in ihrem ersten Proseminar über die Zwischenkriegszeit lernen Geschichtsstudenten eine Antwort als leicht zu merkendes Bonmot: „25 48 53 – unter dieser Nummer erreichen Sie das Ende der Weimarer Republik“.

Gerade diese drei Artikel waren eigentlich „Erbstücke“ aus der Verfassung des Kaiserreiches. Sie schrieben traditionelle Rechte des Monarchen „von Gottes Gnaden“ fort, die schon 1871 zu einem parlamentarischen System mit einer gewählten Volksvertretung (wenn auch nur Männer über 25 Jahre abstimmen durften) nicht gepasst hatten.

In vielen Einzelfragen war die Weimarer Verfassung modern – beispielsweise was das allgemeine und gleiche Wahlrecht für Frauen anging oder auch in dem Bemühen, die Stimme jedes Wählers gleich zu gewichten (was zu einem wilden Potpourri kleiner Fraktionen führte). Doch gerade was die drei Artikel 25, 48 und 53 anging, wirkten ältere Gewohnheiten nach.

Als am 31. Juli 1919 die Weimarer Reichsverfassung beschlossen wurde, war – zumindest auf dem Papier – ein besonders anspruchsvolles Arbeitsziel erreicht: das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen wurde neu geregelt. Nach Jahrhunderten blutiger Religionskriege in Europa. Nach eineinhalb Jahrtausenden, in denen weltliche und geistliche Macht miteinander verflochten waren.

Die Verbindung von Thron und Altar hat eine lange Tradition. 380 n. Chr. wurde das Christentum Staatsreligion. Diese Verbindung blieb das gesamte Mittelalter hindurch bestehen, bis in die Neuzeit, bis ins 20. Jahrhundert. 1918 endete die Monarchie, Kaiser Wilhelm II. ging ins Exil. Damit dankte nicht nur ein weltliche Herrscher ab, sondern auch ein religiöses Oberhaupt, denn Wilhelm II. war zugleich oberster Bischof der evangelischen Kirche Preußens (deutschlandfunk.de).

Jetzt feiert Deutschland 100 Jahre Verfassungsstaat und die Demokratie. Die „Verfassung des Deutschen Reichs“ vom 11. August 1919, nach dem Ort ihrer Unterzeichnung, dem Weimarer Nationaltheater, auch „Weimarer Reichsverfassung“ genannt, bildete die Basis für die erste parlamentarische Demokratie in Deutschland.
Die Verfassung etablierte das deutsche Volk als Souverän. Mit den Reichsfarben Schwarz, Rot und Gold nahmen die „Väter der Verfassung“ Bezug auf die Farben der Revolution von 1848. Daneben verdanken wir der Weimarer Reichsverfassung u. a. die Volkssouveränität und die Gewaltenteilung, das Frauenwahlrecht, die Koalitionsfreiheit und den Sozialstaat.

„Bonn und Berlin sind nicht Weimar“, heißt es oft. Gemeint ist damit die Annahme, dass das Grundgesetz ein Abgleiten in die Barbarei ausschließt, dass das Grundgesetz die Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik gezogen hat und die Machtübernahme autoritärer Parteien verhindert.

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