Der italienische Wirtschaftswissenschaftler Mario Draghi war der Erste im Amt, der in seiner achtjährigen Amtszeit nicht ein einziges Mal den Leitzins erhöht hat. Stattdessen hat er das Geld immer billiger und lockerer vergeben. Der scheidende EZB-Präsident hinterlässt seiner designierten Nachfolgerin Christine Lagarde daher ein schweres Erbe. Der Zustand der EZB im Jahr 2019 gleicht einem zum Zerreißen gespannten Seil. Der Leitzins in der Euro-Zone liegt seit Jahren bei null Prozent. Der Strafzins auf Guthaben der Banken in Höhe von 0,4 Prozent raubt den Instituten einen Teil der Profite. Durch Anleihekäufe pumpte die EZB 2,7 Billionen Euro ins Finanzsystem.
Künftig werden die beiden mächtigsten Notenbanken der Welt von Juristen geführt: die US-Notenbank (Fed) seit Februar 2018 von Jerome Powell und die EZB ab November voraussichtlich von Christine Lagarde. Beide wurden exzellenten Ökonomen vorgezogen und verdanken ihre Ernennung vor allem politischen Erwägungen.
Draghi ist der Kopf hinter der obigen geldpolitischen Revolution, solche Maßnahmen hat es in der noch sehr jungen Geschichte der Notenbank noch nie gegeben. Europas Wirtschaft, die Immobilienmärkte und Börsen profitierten von der Geldschwemme. Dennoch scheint kaum jemand so richtig zufrieden zu sein mit dem Status quo. Den einen ist Draghis Geldpolitik viel zu locker, den anderen geht sie immer noch nicht weit genug. Staaten mit hohen Schulden wie Italien brauchen billiges Geld, bei anderen wie Deutschland ist der Nutzen geringer.
Dass sie große internationale Organisationen führen kann, hat Lagarde seit 2011 beim IWF mit seinen 189 Mitgliedsstaaten gezeigt. Sie hat dem Fonds zu neuem Ansehen verholfen, nachdem ihr Vorgänger Dominique Strauss-Kahn wegen einer peinlichen Sexaffäre gehen musste. Sie hat auch dafür gesorgt, dass der Fonds bei seinen Hilfsprogrammen zur Stabilisierung von in Zahlungs- und Finanzschwierigkeiten steckenden Staaten mit weniger harten Auflagen agierte.
Experten gehen davon aus, dass sie die lockere Geldpolitik unter EZB-Präsident Mario Draghi zunächst fortsetzen wird (businessinsider.de). Diese wurde vom Internationalen Währungsfonds (IWF) unter Lagardes Führung stets positiv kommentiert. Die Aufgaben für die erste gelernte Juristin an der Spitze der EZB in der achtjährigen Präsidentschaft sind enorm. Die Französin erbt eine Wirtschaft in schwacher Verfassung und eine Inflationsrate, die seit Jahren hartnäckig unter der EZB-Zielmarke von knapp unter zwei Prozent verharrt. Und mit Leitzinsen auf historisch niedrigem Niveau sowie billionenschweren Anleihenkäufen ist das geldpolitische Arsenal der Euro-Notenbank bereits sehr weit ausgereizt.
Die Gefahr, dass die EZB unter Lagarde zu stark in politische Fahrwasser geraten könne, sehen die meisten Experten nicht. NordLB-Chefvolkswirt Christian Lips geht davon aus (a.a.O.), dass sie die Unabhängigkeit der Notenbank verteidigen wird. Ihre Durchsetzungsfähigkeit habe sie mehrfach unter Beweis gestellt.
Die wirtschaftliche Ausgangslage der Eurozone als Ganzes ist heute besser als bei Draghis Amtsantritt 2012. Die Arbeitslosenrate ist von über 12 Prozent auf unter 8 Prozent gefallen und liegt nun nahe beim Tiefstand aus 2008. Seit 2013 wächst die Wirtschaftsleistung ohne Unterbrechung. Aber die politische Stimmung hinkt der wirtschaftlichen Lage hinterher. Europa ist politisch zerrissen (H. P. Grüner in private-banking-magazin.de). Das gilt einerseits länderübergreifend, mit einem Konflikt über den finanzpolitischen Kurs, und andererseits national, mit mehreren fragilen Koalitionsregierungen ohne kohärentes Konzept.
Die Nominierung der Französin als EZB-Chefin sorgt in den hoch verschuldeten Euro-Ländern für Aufatmen. Mit der neuen Notenbankerin könnte sich die Zentralbank noch stärker an der Finanzierung der Staatshaushalte beteiligen.
Noch ist nichts beschlossen. Bisher ist Christine Lagarde nur nominiert für den Posten der Präsidentin der Europäischen Zentralbank. Doch die Reaktionen an den Finanzmärkten sind bereits eindeutig. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Personalie sanken die Renditen für italienische Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit um rund einen Zehntelprozentpunkt, für spanische war der Abschlag ähnlich, und auch die Zinsen, die Griechenland bezahlen muss, gaben weiter nach (welt.de).
Wir danken „Super Mario“ für – bei aller Kritik – doch stabile und gute Arbeit.
Europa geht es dem Grunde nach gut.
Und das ist das, was zählt!
Jetzt werden die Karten, eventuell unter Lagarde, neu gemischt.