Man mag es kaum glauben: Aber das 21. Jahrhundert begann in Deutschland mit den zuversichtlichsten Hoffnungen, und die verbanden sich damals tatsächlich mit der Sozialdemokratie.

Im Übergang von 1999 in das Jahr 2000 war der sonst übliche Pessimismus der Deutschen so gut wie verschwunden. Nur noch zehn Prozent der Bürger schauten düster gestimmt in die Zukunft (zeit.de). Warum hat sich das in zwanzig Jahren so hanebüchen verändert? Wo liegen die Gründe?

Die SPD ist von einer sozialdemokratischen Partei – gar Deutschlands – unterwegs in Richtung einer neosozialistischen Vereinigung ohne Programm und Koordinatenkreuz, aber mit einer unendlichen Fülle von Ideen und Ideologismen, die keinem auch nur halbwegs geschlossenen System zuzuordnen sind. Die Sozialdemokratie ist zu einem hohlen Sozialdemokratismus geworden, der nicht ganz ungefährlich ist. Die SPD, eine Partei, von der viele Bürger – Anhänger wie Kontrahenten – immer noch irrig annehmen, dass sie ein ruhender Pol im politischen Spiel sei, wird zu einer Gefahr für die Gesellschaft, wenn sie nur noch zufallsgesteuert und situativ (irgendwelche sogenannten politischen Ziele verfolgend, die irgendwelche Parteifürsten intern aus ihrer politischen Interessenlage heraus formuliert haben) Politik macht.

Das Herz und der Verstand sind der SPD abhandengekommen (wiwo.de). Die SPD handelt permanent populistisch bis zum Anschlag und dazu passt auch, dass sie ihrerseits mit dem Populismusvorwurf auf alles, von der Mitte bis zur konservativen Seite, drauf haut. Auch die CDU ist für die heutige SPD in Wahrheit Populistenpack. Das alles verschweigen die „Sozibonzen“ sogar vor sich selbst, denn sie wollen unter Merkel mitregieren.

Die SPD-Wähler sind dagegen mehrheitlich nach wie vor sozialkonservativ eingestellte Traditionalisten, die mit einer erstaunlichen Beharrlichkeit ignorieren, dass es ihre gute alte SPD schon lange nicht mehr gibt. Der ehemalige französische Präsident, Francois Hollande, ist ein symptomatisches Beispiel für den unverständlichen, aber leider unaufhaltsam erscheinenden geistig politischen Niedergang der europäischen Sozialdemokratie. Hollande wurde von einer Mehrheit der Franzosen gewählt, obwohl im Vorwege feststand, dass er die Grande Nation in ein kleines Chaos stürzen würde. Und dessen Konsequenzen sind noch nicht absehbar. Die Probleme der Sozialdemokraten kann man wie folgt beschreiben: Sie haben vergessen und verlernt, was Sozialdemokratie ist, und verlernt Sozialdemokraten zu sein.

Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob Andrea Nahles die Kritiker in den eigenen Reihen zurück ins Glied drängen kann. Doch die kritischen Stimmen verstummten nicht. Das einzige, was sie möglicherweise noch zurückhielt, war die Sorge, dass mit der Parteichefin auch die Große Koalition Vergangenheit sein könnte. Genau dieses Szenario hängt nun über dem politischen Berlin.

Nach dem Scheitern von Jamaika im Bund Ende 2017 und bereits wochenlangen Verhandlungen zwischen den verschiedenen Partnern ließ sich die SPD erneut auf die GroKo ein. Leidenschaftlich warb Nahles in Bonn um die Zustimmung der Delegierten und bekam sie dann auch. Vielleicht hoffte sie, sie könnte das Kunststück von Willy Brandt wiederholen. Der war 1969 gestärkt aus der Großen Koalition mit der Union hervorgegangen und schließlich Bundeskanzler geworden. 2019 sieht es anders aus.

Der frühere SPD-Vorsitzende und Ex-Kanzlerkandidat Martin Schulz sprach sich hingegen unmittelbar vor dem Nahles-Rücktritt in der Welt am Sonntag dafür aus, die Große Koalition jetzt gerade fortzusetzen. Sein Argument: Kanzlerin Angela Merkel sei am Ende ihrer vierten und letzten Amtszeit „ausgebrannt“. So ergebe sich für die Sozialdemokraten die Chance, jetzt „die Initiative zu ergreifen und weiterzukommen bei Mindestlohn, Digitalsteuer, Umweltpolitik und Handelsverträgen mit ambitionierten Klimazielen“. Aber gerade hierzu hat die SPD derzeit wenig bis nichts zu bieten.

Die ausgebrannte Kanzlerin steht nun neben einer führungs- und wählerlosen SPD. Die wiederum kann ihr Heil nun im Bruch der Großen Koalition suchen oder erst recht im Festhalten daran. Es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera (n-tv.de).

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