Der Kapitalismus sei in viel zu viele Lebensbereiche vorgedrungen: „So können wir auf keinen Fall weitermachen“. Er habe das sehr ernst gemeint, was er formuliert habe, bestätigte Kevin Kühnert (zeit.de). „Ich habe keine Lust mehr darauf, dass wir wesentliche Fragen immer nur dann diskutieren, wenn gerade Friedenszeiten sind, und im Wahlkampf drum herumreden“, so der Vorsitzende der SPD-Nachwuchsorganisation. Er hat die SPD aufgefordert, die von ihm angestoßene Debatte offensiv zu führen.

Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat die Sozialismusthesen von Juso-Chef Kevin Kühnert scharf zurückgewiesen. „Wer als Sozialdemokrat die Enteignung und Sozialisierung großer Industrien fordert (gemeint ist Verstaatlichung), dem ist die Aufmerksamkeit der Medien gewiss“, schrieb Gabriel in einem Gastbeitrag (handelsblatt.com). „100 Jahre empirisch gesicherte Erfahrung mit staatlich gelenkten Volkswirtschaften haben gelehrt, dass sie wegen mangelnder Effizienz und Qualität bankrottgehen und zudem auch für die soziale Verelendung ihrer Beschäftigten sorgen“. Aber das ignoriere Kühnert.

Kritik an Kühnerts Ideen kam nun auch vom Industrieverband BDI. „Unausgegorene Ideen für eine sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsform verlieren sich im Nebel aus unbestimmten Wünschen und Rezepten von gestern“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang.

Kühnert hatte in einem Interview mit der ZEIT zum Thema Sozialismus gesagt, dass er für eine Kollektivierung großer Unternehmen „auf demokratischem Wege“ eintrete: „Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW „staatlicher Automobilbetrieb“ steht oder „genossenschaftlicher Automobilbetrieb“ oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht“.

Nicht umsonst legen einige Gazetten Wert darauf, Kühnert habe nicht von Verstaatlichung und Enteignung gesprochen, sondern von „Kollektivierung“.

Der Spott bleibt nicht aus. CSU-Generalsekretär Markus Blume empfahl Kühnert den Wechsel zur Linkspartei. „Mit solchen Leuten ist kein Staat zu machen und kann eine Regierung nicht funktionieren“, sagte er mit Blick auf die Große Koalition (dpa.com). Die SPD-Spitze müsse sich „von solchen Hirngespinsten distanzieren“.

FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg mahnte, die SPD müsse dringend ihr Verhältnis zum Eigentum klären. Der frühere Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) twitterte: „Und in den Sozialistischen Motorenwerken Bayerns (vor der Revolution ‘BMW’) machen die Kevin-Kühnert-Pioniere ihre Arbeitseinsätze.“

Auch aus der SPD kam Kritik. „Was für ein grober Unfug“, schimpfte der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, auf Twitter. „Was hat der geraucht? Legal kann es nicht gewesen sein“ (jungefreiheit.de).

Nachdem in der ZEIT das Interview mit Kühnert unter dem Titel „Was heißt Sozialismus für Sie?“ erschien, hat die Kampagne einen neuen Höhepunkt erreicht. Obwohl Kühnerts „Utopie“ des Sozialismus, wie er selbst erklärt, konkret nichts anderes meint als „eine Wiederherstellung der Sozialstaatsversprechen der Siebziger, Achtzigerjahre in upgedateter Form“, überschlagen sich die Medien, führende Politiker in Regierung und Opposition sowie die Gewerkschaften mit wüsten anti-kommunistischen Tiraden.

Die WORLD SOCIALIST WEB SITE titelt gar: „Herrschende Klasse fürchtet Gespenst des Sozialismus!“ (wsws.org 04.05.2019).

Kühnerts Forderung ist mehr als radikal. Man könnte diese Aussagen als originelle Gedankenspielerei eines Außenseiters abtun, aber sie kommen eben von einem prominenten Sozialdemokraten, der ernst genommen werden will. Und er findet bei Grünen und Linken, wenn überhaupt, nur verhaltenen Widerspruch. Wir stehen also doch an einer Art Wegmarke der Debatte, und die verlangt Klartext. Es geht immerhin um unser Wirtschaftssystem, Ludwig Erhards soziale Marktwirtschaft.

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