12Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sieht keine strikte Trennung zwischen Staat und Religion vor. Die Beziehungen zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften werden durch das sogenannte Staatskirchenrecht (auch: Religionsverfassungsrecht) geregelt.
Die arbeitsrechtlichen Regelungen für Mitarbeiter der Kirchen und kirchennaher Organisationen unterscheiden sich in Deutschland erheblich von den für sonstige Arbeitnehmer geltenden Bestimmungen.
Die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, hierbei insbesondere die großen Kirchen, können ein eigenständiges Arbeitsrecht erlassen. Das hat seine Grundlage im sogenannten Selbstordnungs- und -verwaltungsrecht gemäß Artikel 137 Absatz 3 Weimarer Reichsverfassung, der nach Artikel 140 des Grundgesetzes in jenes inkorporiert und geltendes Verfassungsrecht ist. Historisch wurzelt diese Bestimmung im Trennungsprozess von Kirche und Staat.
Zur Glaubenslehre der katholischen Kirche gehört auch das Sakrament der Ehe. Hiernach ist die Ehe grundsätzlich unverbrüchlich und eine zweite Eheschließung vor den irdischen Standesämtern ein Verstoß gegen Kirchenrecht. Aufgrund dieser „Verfehlung“ wurde einem Chefarzt, der in einem in kirchlicher Trägerschaft befindlichen Krankenhaus beschäftigt wurde, bereits im Jahr 2009 gekündigt. Diese Kündigung ist nunmehr vom Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 20.2.2019, Az.: 2 AZR 746/14) in Erfurt als diskriminierend und damit unwirksam qualifiziert worden (lto.de).
Eine gerichtliche Odysee für den klagenden Arzt scheint somit sein Ende gefunden zu haben – sofern die Kirche gegen die nunmehrige Entscheidung nicht erneut das Bundesverfassungsgericht anruft.
Das Krankenhaus, das zum Erzbistum Köln gehört, hatte sich bei der Kündigung im Jahr 2009 auf eine kirchenrechtliche Regelung gestützt. Sie bestimmte, dass der Abschluss einer nach katholischem Recht ungültigen Ehe einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß darstellt. Gegen die Entlassung zog der Arzt vor Gericht, er berief sich vor allem auf eine Benachteiligung gegenüber seinen evangelischen Kollegen. Während die Arbeitsgerichte ihm Recht gaben, stärkte das Bundesverfassungsgericht das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Es verwies den Fall zurück an das Bundesarbeitsgericht, weil die Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht ausreichend berücksichtigt worden sei.
Die Erfurter Richter legten den Fall dem Europäischen Gerichtshof vor, der vergangenes Jahr entschied, dass eine Ungleichbehandlung nur unter strengen Voraussetzungen mit Europarecht vereinbar sei, etwa wenn Angestellte am Verkündigungsauftrag mitwirkten (faz.net). Dem folgten nun die Erfurter Richter. Sie entschieden, dass die Kirche besondere Loyalitätspflichten nur dort einfordern könne, wo sie für die konkrete Tätigkeit unverzichtbar seien. Besondere Anforderungen an katholische Mitarbeiter müssten „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ sein. Die Regelung, wonach eine katholisch ungültige Ehe prinzipiell einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß darstelle, verwarf das oberste Arbeitsgericht als unwirksam. Es liege damit eine nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung wegen der Religion vor. „Die entsprechende Vorschrift in der Grundordnung zur Wiederverheiratung aus dem Jahr 1993 sei unwirksam“. Der Arzt habe daher nicht gegen seine Loyalitätspflichten verstoßen (thorsten-blaufelder.de).
Salopp formuliert: Von einem Chefarzt erwarte der Patient medizinische Fähigkeiten. Ob er sich an das Sakrament der Ehe halte, sei ihm im Rahmen seines Krankenhausbesuchs ziemlich egal.
Was das Bundesarbeitsgericht nun auch entschieden hat.
Ein Blick von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in die Gesetzgebung:
Die Adenauer-Regierung hat 1952 den § 118 Absatz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes eingeführt, wonach dieses Arbeitnehmerschutzgesetz für Kirchen nicht gilt. Dieser Absatz könnte ohne weiteres vom Bundestag abgeschafft werden. Denn gemäß Absatz 1 gilt der sogenannte Tendenzschutz auch für konfessionelle Einrichtungen. Es wird für die Zukunft aus heutiger Sicht zu klären sein, warum und inwieweit Kirchen anders behandelt werden als AWO, Rotes Kreuz oder der Paritätische Wohlfahrtsverband. Die Politik muss handeln.