Die Vorbereitungen für den „großen Krieg“ (Erdogan) – gemeint ist eine weitere türkische Invasion in Syrien – laufen auf Hochtouren. Wie türkische Staatsmedien berichten, werden Panzer, Artillerie und Soldaten in die Nähe der syrischen Grenze verlegt. Die 15.000 Mann der syrischen Rebellenmilizen, die Ankara ausgerüstet und trainiert hat, stehen in Bereitschaft.
Sie sollen erstmals in das Gebiet östlich des Euphrats vorrücken, die Kernregion Nordsyriens, das von einer demokratischen Selbstverwaltung regiert wird und in Opposition zum syrischen Regime steht. Das föderale, basisdemokratische Projekt von Arabern, Kurden, Assyrern und Turkmenen ist richtungsweisend für die gesamte Region. Es bietet eine praktikable Alternative zum autoritären Zentralstaat des syrischen Regimes, zudem ist es ein positives Beispiel für religiöse und ethnische Koexistenz.
Unklar ist, wie viele US-Truppen sich in Syrien befinden. Offiziell sind es nach dem Pentagon 500, aber schon 2017 hatte ein US-Kommandeur gesagt, es seien um die 4.000. Dies für den Kampf gegen den IS. Wahrscheinlich werden es mehr, denn die US-Truppen sollen „unbegrenzt lange“ im Land bleiben (Washington Post). Die Amerikaner müssen bleiben. Wenn sie gehen und es keine Lösung für Syrien gibt, wird das eine Katastrophe.
Das vor allem für die Kurden, weil dann die Türkei mit ihren islamistisch-sunnitischen Milizen vorstoßen wird, um die kurdischen Gebiete zu vereinnahmen und die Kurden zu verdrängen. Gut möglich wäre hingegen, dass die Kurden über die bestehenden Kanäle mit Damaskus und Moskau eine Einigung finden könnten, allerdings ist derzeit im Machtpoker nicht abzusehen, dass Russland zugunsten der Kurden die Türkei fallenlassen könnte (Telepolis).
In Nordsyrien sind führende Ämter zudem stets von einer Frau und einem Mann besetzt. Dabei geht es nicht nur um Gleichberechtigung, sondern auch um die Verhinderung von Patronage und Korruption. Zur Zeit befindet sich eine Exekutivkommission im Aufbau, die überregional die Arbeit der lokalen Verwaltungen und Räte koordinieren soll.
Diese Entwicklungen dürften der Türkei nicht gefallen. Die Türkei hat den USA wiederholt vorgeworfen, Waffen an die Volksverteidigungstruppen der syrischen Kurden (YPG) geliefert zu haben. Diese Kräfte stuft Ankara als Terroristen ein, da sie mit der in der Türkei verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) verbunden sind. Damit werden die wiederholten Einsätze der türkischen Armee gegen die Kurden in Syrien begründet.
Syrische Kurden bilden die Basis der sogenannten „Syrischen Demokratischen Kräfte“, die von den USA im Kampf gegen die Terrormiliz IS unterstützt werden. Sie kontrollieren große Gebiete im Osten und Nordosten Syriens, die von der syrischen Regierung de facto nicht kontrolliert werden. Auf diesen Territorien befinden sich US-Truppen in einer Stärke von etwa 2.000 Mann (sputniknews.com). Die syrische Regierung sieht das als Besetzung an.
Alle Bemühungen um eine politische Lösung für den Konflikt in Syrien sind bislang gescheitert. Jetzt soll ein Verfassungsausschuss den Weg ebnen. Auf den neuen UN-Gesandten wartet eine schwere Aufgabe.
Seit Jahrzehnten versucht die Türkei, alle Ansprüche der türkischen Kurden auf mehr Selbstverwaltung zu unterbinden und geht zu diesem Zweck hart gegen die türkisch-kurdische Arbeiterpartei PKK vor, die auch einen bewaffneten Arm hat und viele Anschläge begangen hat. Für einige Jahre verhandelten die türkische Regierung und die Kurden wieder – doch nach den Parlamentswahlen 2015 begann die türkische Regierung wieder eine Militäroffensive. Seitdem herrscht im kurdisch dominierten Südosten der Türkei faktisch Bürgerkrieg.
Jetzt kommt Bewegung in den politischen Prozess. Anfang nächsten Jahres soll in Genf erstmals der Verfassungsausschuss tagen, teilten die Außenminister Russlands, des Iran und der Türkei nach Beratungen mit UN-Vermittler Staffan de Mistura mit. Die Minister hätten „die positiven Ergebnisse ihrer Konsultationen mit den syrischen Parteien über die Zusammensetzung des Ausschusses“ präsentiert, hieß es in ihrer Erklärung (tagesschau.de).
Wollen wir hoffen, dass die kriegerischen Ambitionen die diplomatischen Bemühungen nicht zunichte machen. So manch einer hat schon kurz vor knapp noch schnell Fakten geschaffen …