Nach Artikel 50 des EU-Vertrags kann jeder Mitgliedsstaat im Einklang mit seinem Verfassungsrecht beschließen, aus der EU auszutreten. Diese Absicht muss der Mitgliedsstaat dem EU-Rat mitteilen, was Großbritannien am 29. März 2017 getan hat. Ab diesem Datum läuft eine Zweijahresfrist, während der ein Austrittsabkommen ausgehandelt werden kann.
Wenn diese Frist abgelaufen ist – also am 29. März 2019 – tritt Großbritannien automatisch aus der EU aus; unabhängig davon, ob bis dahin ein Austrittsabkommen abgeschlossen ist oder nicht.
Theoretisch könnten sich die Mitgliedstaaten auf ein früheres Datum für einen Brexit einigen. Sie können die Frist umgekehrt auch verlängern. Dazu braucht es aber Einstimmigkeit.
Großbritannien könnte den für 2019 angekündigten Brexit noch einseitig und ohne Zustimmung der übrigen EU-Länder stoppen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof am Montag in Luxemburg.
Die Schwelle für einen Rückzieher von dem in Großbritannien sehr umstrittenen EU-Austritt ist somit niedriger als gedacht (Rechtssache C-621/18).
Das oberste schottische Zivilgericht hatte den EuGH um eine Bewertung gebeten, ob ein einseitiger Rückzieher noch möglich sei. Das Urteil fiel einen Tag vor der Abstimmung des britischen Parlaments über das von Regierungschefin Theresa May mit der Europäischen Union ausgehandelte Austrittsabkommen. Dafür zeichnet sich keine Mehrheit ab.
Die britische Regierung hatte am 29. März 2017 die übrigen EU-Staaten offiziell darüber informiert, dass das Land die EU verlassen will. Damit begann ein zweijähriges Austrittsverfahren nach Artikel 50 der EU-Verträge, das planmäßig mit dem Brexit am 29. März 2019 endet. Die EU-Kommission und der Rat der Mitgliedsländer hatten vor dem EuGH argumentiert, das Verfahren lasse sich nur mit einem einstimmigen Beschluss des Rats stoppen.
Wenn ein Mitglied der Europäischen Union entschieden habe, diese zu verlassen, „ist das Mitgliedsland frei, diese Mitteilung einseitig zu widerrufen“, urteilte das Gericht. Das sei so lange möglich, wie das Austrittsabkommen noch nicht in Kraft getreten sei. Falls man sich noch nicht auf ein Abkommen verständigt habe, sei der Schritt noch zwei Jahre nach der Austrittserklärung möglich, also bis 29. März 2019 – und sogar später noch, falls diese Frist verlängert werde. Einzige Voraussetzung sei, dass dem Rücktritt vom Austritt ein „demokratischer Prozess“ gemäß britischen Verfassungsgrundsätzen vorangehe. Ein entsprechender Beschluss beende die Austrittsprozedur und setze den Mitgliedstaat wieder in seinen bisherigen Status ein. Im Falle Großbritanniens bedeutet das: Das Land dürfte weiterhin weniger als andere in den EU-Haushalt einzahlen und bräuchte sich weder an der Währungsunion noch am grenzfreien Schengen-Raum beteiligen.
Im Kern geht es um eine Klärung des interpretationsbedürftigen Artikel 50 des EU-Vertrags. Er enthält keine Vorgabe für den Rücktritt vom Austritt. Man könne aber analog die Regelung zum Austritt anwenden, urteilten die Luxemburger Richter. Es handle sich demnach um eine „souveräne Entscheidung, den Status als Mitglied der Europäischen Union zu behalten“. Einen einmal erklärten Austritt auf alle Fälle durchzuziehen, dieser Gedanke vertrage sich nicht mit dem Ziel der EU-Verträge, „den Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas (…) weiterzuführen“. Das allerdings ist eine pikante Begründung, denn genau diese Formel aus der Präambel des EU-Vertrags ist besonders verhasst auf der Insel. Nach Ansicht vieler Briten verweist sie auf das Fernziel eines europäischen Staats und stellt die nationale Souveränität dadurch auf eine grundsätzlich inakzeptable Weise infrage.
Fazit: Der Brexit wird nicht von Gerichten entschieden, er war immer eine genuin politische Frage und wird es bleiben. Das Urteil des EuGH ist kein Grund zum Jubeln für die britischen Remainer, es nimmt ihnen nur nicht die Hoffnung. Dass es tatsächlich zu einer zweiten Abstimmung kommt, ist nach jetzigem Stand eher unwahrscheinlich. Aber ausschließen sollte man beim Brexit gar nichts.