Die moderne Form des Prangers ist der Digitale, Virtuelle oder auch Online-Pranger. Im Kontext von Veröffentlichungen von Straftäter-Dateien wird auch von „Internetprangern“ gesprochen. So sprach sich 2010 die Deutsche Polizeigewerkschaft für einen „Internet-Pranger für Triebtäter“ aus. Auf der Webseite der Polizei einsehbar sollten der Name, ein Foto, Wohnort, Straße und die Hausnummer des Gewaltverbrechers sein (wikipedia).
Linke Aktivisten provozieren nun im Internet mit einem Denunzianten-Aufruf: Sie wollen Nutzer dazu bringen, Bilder der Chemnitzer Demonstrationen auszuwerten.
Unter dem Motto „Erkennen Sie Ihren Arbeitskollegen“ fordert das sogenannte „Zentrum für politische Schönheit“ auf, Teilnehmer der Chemnitzer Demonstrationen vom August und September diesen Jahres zu melden. Dafür wollen die Aktivisten 3 Millionen Bilder von 7.000 Verdächtigen ausgewertet haben.
Die linken Aktivisten gehen sogar noch einen Schritt weiter: Unternehmen sollen Teilnehmer der rechtsgerichteten Demonstrationen in Chemnitz entlassen. Man biete arbeitsrechtliche Beratung für Unternehmen, heißt es auf der Internetseite.Ziel sei es, „Problemdeutsche aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst zu entfernen“. Nur wenige Stunden später stand die Polizei im Büro, und der Vermieter sieht sich getäuscht.
Das Zentrum für politische Schönheit ist bekannt für kontroverse Aktionen, die auch in der linken Szene zum Teil heftig kritisiert werden. Zuletzt hatten die Aktivisten bundesweit Schlagzeilen gemacht mit dem Bau eines Holocaust-Mahnmals in der Nachbarschaft von Björn Höcke, nachdem der AfD-Rechtsaußen zuvor auch von dort observiert worden sei. Morddrohungen an Organisatoren waren die Folge.
Gut drei Monate nach den rechten Demonstrationen in Chemnitz haben die Politaktivisten der Künstlergruppe Zentrum für politische Schönheit eine neue Kunstaktion in der sächsischen Stadt gestartet. Unter dem Stichwort „Soko Chemnitz“ wollen sie Teilnehmer der rechten Aufmärsche entlarven und suchen „nach den Arbeitgebern des braunen Mobs“ (twitter.com).
Aufmerksamkeit ist jedenfalls sicher. In der Inszenierung als „gute“ Denunzianten, die böse Nazis an einen digitalen Pranger stellen. Man könnte auch sagen: das Zentrum für Politische Schönheit alias „Soko Chemnitz“ versucht, in der Historie der Bundesrepublik mitzumischen. Als eine Art Korrekturinstanz. Man vertritt allen Ernstes: „Wir müssen wieder über Entnazifizierung nachdenken“ und zieht damit einen Vergleich zu den Jahren nach dem Ende des NS-Regimes. Klingt größenwahnsinnig, wirkt grenzwertig. Und ist doch legitim? Kann Denunziation, eines der perfidesten Machtinstrumente totalitärer Systeme, in einer Demokratie überhaupt legitim sein? Wenn es die fiesen Rechten trifft, die bekanntlich ein menschenverachtendes Regime anstreben?
Eine mögliche Konsequenz wäre für einen Rechten der Jobverlust. Und eine existenzielle Krise für eine ganze Familie, die am Einkommen des Vaters oder der Mutter oder an beiden hängt. Aber hat er es nicht anders verdient? Auf den Bildern, die gezeigt werden, sind Neonazis Parolen schreiend mit Hitlergruß zu sehen. Menschen, mit denen ein Demokrat nichts zu tun haben möchte. Aber was wäre gewonnen, wenn Rechtsextremisten qua Denunziation arbeitslos würden? Dass sie sich zu Gutbürgern wandeln, dürfte eine naive Illusion sein. Zu erwarten wäre eher noch mehr Hass.
In Sachsen bläst der Gegenwind. Die Landesregierung mahnt am Montag das Zentrum ab, weil es die Website „Soko Chemnitz“ mit dem Logo der Standortkampagne „So geht sächsisch“ kombiniert. In Chemnitz selbst lässt die Stadt das Büro des Zentrums räumen und dessen Fahndungsplakate entfernen (tagesspiegel.de).
Die Schutzrechte, die in Ermittlungs-, Ordnungs- oder Strafverfahren den Beschuldigten zustehen, die Mindeststandards des Rechtsstaates, sieht die Inszenierung nicht vor. Demokrat ist, wer sich Künstlern unterwirft.
Wie ernst das gemeint ist, kann dahingestellt bleiben. Auch als Kunstsanktion ist die Pranger-Denunziations-Inszenierung politisch folgenreich. Sie taugt dazu, sich demokratiefreundliche Eigenschaften abzutrainieren, von der Gesprächsfähigkeit bis hin zur Kompromissbereitschaft.
Das ist gefährlich für unsere Demokratie.