Frauen dürfen Auto fahren, die Kinos haben wieder geöffnet. Errungenschaften der neuesten Zeit in Saudi-Arabien. Wer will, kann sich als Anwältin und Notarin niederlassen, als Verkäuferin oder Kassiererin arbeiten oder eine eigene Firma gründen. Selbst Armee und Polizei stehen Frauen künftig offen, Abertausende bewarben sich auf die neuen Stellen.
Kronprinz Mohammed bin Salman will die Wirtschaft seines Landes modernisieren und unabhängiger vom Öl werden.
Jahrzehntelang sprudelte der Reichtum in Saudi-Arabien aus dem Boden. Elf Millionen Gastarbeiter hielten die größte Volkswirtschaft der Arabischen Welt zu bescheidenen Löhnen am Laufen, während sich die Einheimischen in lukrativen Staatsjobs ausruhten oder als stille Teilhaber ausländischer Firmen nur die Hand aufhalten mussten.
Kronprinz Mohammed bin Salman, von seinen Landsleuten kurz „MBS“ genannt, steht vor einer großen Aufgabe. Mit seinem Reformprojekt Vision 2030 will er die Nation aus ihrer Lethargie heraustreiben, die Saudis zur Arbeit bewegen und den aufgeblähten Staatsapparat rationalisieren. Denn nur so lässt sich das erklärte Ziel seiner gesellschaftlichen Agenda erreichen: die Abhängigkeit von den Petrodollars zu verringern, die brisante Arbeitslosigkeit unter dem Nachwuchs zu entschärfen und Saudi-Arabiens Wirtschaft wettbewerbsfähig zu machen für die Zeit nach dem Öl.
Doch das ehrgeizige Modernisierungsprojekt des Thronfolgers stockt. Die Staatsausgaben sind hoch, und bei der Arbeitsmoral der jungen Frauen und Männer klemmt es gewaltig. Denn der gewohnte Müßiggang ist den 21 Millionen Saudis nicht so leicht auszutreiben. 70 bis 80 Prozent sind im öffentlichen Dienst beschäftigt und haben keine Lust auf die anstrengenderen und schlechter bezahlten Jobs in der Privatwirtschaft.
Deswegen verordnete die Regierung dem Arbeitsmarkt in den vergangenen drei Jahren immer höhere Quoten an Einheimischen. Viele Branchen dürfen keine Ausländer mehr einstellen und sollen stattdessen auf saudische Arbeitslose zurückgreifen. „Saudisierung“ heißt das Zauberwort, was jedoch bisher wenig Zauber entfaltet. Denn während ausländische Arbeitskräfte zu Hunderttausenden das Land verlassen müssen, kletterte die saudische Arbeitslosenquote von neun auf knapp 13 Prozent, bei denen unter 30 Jahren liegt sie sogar deutlich über 30 Prozent. Mindestens 800.000 Bürger sind betroffen; jedes Jahr kommen 350.000 hinzu!
Die Mehrzahl der Saudis jedoch denkt nicht daran, in die freiwerdenden Stellen nachzurücken und sich die Finger schmutzig zu machen als Köche, Bauarbeiter, Krankenpfleger oder Automechaniker. Mit solchen Jobs den Lebensunterhalt zu verdienen, in denen bisher Inder, Pakistani oder Filipinos schufteten, ist für sie unter ihrer Würde. Stattdessen pocht der einheimische Nachwuchs auf einen Schreibtisch in einem klimatisierten Büro und auf ein üppiges Gehalt. Aus Insiderkreisen hört man, die meisten Studenten machten irgendeinen Abschluss, den sie mit minimalem Aufwand absolvieren könnten, um dann in aggressiver Manier einen gut bezahlten Job für sich zu reklamieren.
Etwas Hoffnung machen die Frauen, Saudi-Arabien hatte bisher mit 22 Prozent die geringste weibliche Beschäftigungsquote weltweit. Frauen sind oft besser motiviert als ihre männlichen Kollegen. Viele haben im Ausland studiert und wollen unabhängiger werden von der allgegenwärtigen männlichen Bevormundung. Bisher scheiterte ihr Zugang zum Arbeitsmarkt an gesellschaftlichen Tabus, Restriktionen bei den Berufsfeldern und Blockaden in den Familien.
Mohammed bin Salman redet in Superlativen, die unvorstellbare Summen kosten. Ein Beispiel ist Neom, die geplante 500 Milliarden Dollar schwere Megastadt und Hightechzone am Roten Meer, die Saudi-Arabien mit Ägypten und Jordanien verbinden soll. Auch den Tourismus will der Thronfolger entwickeln, um an der 200 Kilometer langen Korallenküste gegenüber der ägyptischen Baderegion neue Ferienressorts zu bauen ohne Scharia. Mit diesen Megaprojekten soll der bisherige Schwerpunkt des saudischen Wirtschaftslebens auch territorial verlagert werden – weg aus der Ölregion im Osten, wo die staatliche Aramco ihren Sitz hat, hin zum Westen ans Rote Meer.
Dem Prinzen geht es nicht um Frauenrechte, sondern um die Macht. Er passt sein Reich den Zwängen an, die niedrige Ölpreise und das Bevölkerungswachstum entfalten. Seine Agenda ist der Erhalt der Monarchie, nicht die Gleichberechtigung von Frauen oder gar umfassende politische Beteiligung der Untertanen.
Harren wir der Dinge …