Wir wollen einmal über die sogenannten „Reichsbürger“ reden. Der rechten, ja sektenartigen Vereinigung wird die Leugnung des Holocausts und der Existenz der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfen, nicht zuletzt auch Gewaltbereitschaft (vgl. die Schüsse auf Polizeibeamte in Mittelfranken vor rund zwei Jahren).
Worauf berufen sich die Reichsbürger eigentlich?
Die wichtigsten Argumente der ‚Reichsbürger‘ sind: das Deutsche Reich bestünde fort; das Grundgesetz sei keine Verfassung, weil es nicht durch einen Volksentscheid verabschiedet wurde oder – auch das wird behauptet – weil es nur auf Druck der Alliierten und nach ihren Vorgaben zustande gekommen sei. Ferner wird teilweise angenommen, nach dem Beitritt der ostdeutschen Bundesländer sei das Grundgesetz außer Kraft getreten. Es hätte zumindest zu dieser Zeit einer Volksabstimmung bedurft. Einzelprüfung:
1. Der Untergang des Deutschen Reiches
Nach Kriegsende war die staatliche Organisation in Deutschland zusammengebrochen und nicht mehr handlungsfähig. Noch lebende Mitglieder der Reichsregierung waren verhaftet, die alliierten Streitkräfte übernahmen die Staatsgewalt. Sie stützten sich dabei – zu Recht – auf den völkerrechtlichen Grundsatz der Besatzungshoheit nach der Haager Landkriegsordnung von 1899/1907. Auf dessen Grundlage beschlossen die Westalliierten die Gründung eines westdeutschen Teilstaates, der Bundesrepublik. Diese sollte die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches – jedenfalls auf dem Gebiet der Bundesrepublik – antreten. Ein Teil des Deutschen Reiches wurde quasi – gewandelter Staatsform – neu strukturiert.
2. Die Verabschiedung des Grundgesetzes
Richtig ist, dass es keinen Volksentscheid über das Grundgesetz gegeben hat. Das entsprach auch nicht deutscher Verfassungstradition. Weder die Verfassung von 1871, noch die Weimarer Reichsverfassung, auf die die „Reichsbürger“ sich beziehen, waren durch Volksentscheid verabschiedet worden. Eine Verfassung kann durch Volksentscheid, aber auch auf anderem Wege demokratische Legitimation erfahren. Für das Grundgesetz hat man sich wie folgt entschieden:
Es wurde im Gremium des Parlamentarischen Rates ausgearbeitet und beschlossen, das aus gewählten Abgeordneten der Landtage der westdeutschen Bundesländer zusammengesetzt war. Ferner wurde es von diesen Landtagen selbst – mit Ausnahme von Bayern – angenommen. Schließlich konnte es sich auf die faktische Zustimmung der großen Mehrheit der Wahlbürger stützen, die sich an der ersten Wahl zum Deutschen Bundestag beteiligten und dabei fast ausschließlich Parteien wählten, die das Grundgesetz unterstützen – allein CDU, CSU, SPD und FDP erhielten damals über 70 Prozent der Stimmen.
Die Alliierten gaben der verfassungsgebenden Versammlung im Wesentlichen drei Punkte vor: demokratische Strukturen, föderaler Aufbau (Gliederung in Bundesländer) und den Schutz individueller Freiheiten (Grundrechte). Das war sicherlich eine richtige Reaktion auf den Nationalsozialismus.
3. Die Folgen des Beitritts der ostdeutschen Bundesländer
Der Beitritt hat zunächst keine Folgen für die Wirksamkeit des Grundgesetzes, vielmehr wurde – erkennbar in der Präambel – sein Geltungsbereich auf die neuen Länder erweitert. Auch wurde Art. 146 geändert, der nunmehr lautet:
„Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“.
Dieser Text enthält zwei Aussagen: Zum einen ‚gilt‘ das Grundgesetz auch nach dem Beitritt (1. Halbsatz); zum anderen tritt es außer Kraft, sobald eine neue Verfassung vom Volk beschlossen wird (2. Halbsatz). Letzteres ist eigentlich eine staatsrechtliche Selbstverständlichkeit: Natürlich kann das Volk als die verfassungsgebende Gewalt jederzeit eine neue Verfassung beschließen. Solange das aber nicht der Fall ist gilt das Grundgesetz unbestreitbar.
Das Grundgesetz sah für den Beitrittsfall keine Volksabstimmung vor. Für den Fall einer Neugliederung des Bundesgebiets ist zwar nach Art. 29 GG ein Volksentscheid erforderlich. Das heißt: für die bestehende Republik, nicht für deren Vergrößerung. Die Wirksamkeit des Beitritts der neuen Bundesländer steht dadurch nicht in Zweifel.