Im Streit um den Brexit-Kurs der britischen Regierung ist Außenminister Boris Johnson Anfang der Woche zurückgetreten. Am Vortag hatte bereits David Davis, Minister für den EU-Austritt, seinen Rücktritt eingereicht. Damit steht Regierungschefin Theresa May vor der wohl schwierigsten Krise ihrer Amtszeit seit dem enttäuschenden Ausgang der vorgezogenen Neuwahlen. Die Politikerin hatte ihre Minister bei einer Klausurtagung in Chequers, dem Landsitz der Premierministerin, auf einen vergleichsweise weichen Brexit eingeschworen. Sie verlangte von den Kabinettsmitgliedern, diesen Plan zu unterstützen und nicht öffentlich zu kritisieren. Davis und Johnson wollten das nicht mittragen.
Davis hatte Mays Modell einer Freihandelszone für Industriegüter und Agrarprodukte einschließlich eines ziemlich komplizierten und aufwändigen Zoll-Arrangements zuvor bereits als nicht machbar bezeichnet. Wie sollte Davis da eine ohnehin skeptische EU von etwas überzeugen, an das er selber nicht glaubt? Also war es nur konsequent, dass der Minister es gar nicht erst versuchte, sondern sich gleich aus dem Kabinett verabschiedete.
Beide Politiker – Davis und Johnson – stehen für eine klare Trennung von der EU; sie werfen May vor, zu viele Zugeständnisse zu machen. Vor dem EU-Referendum war Johnson der populärste Vorkämpfer der Brexit-Kampagne. May ernannte Dominic Raab, bisher Staatssekretär für Wohnungsbau, zum neuen Minister für den Austritt aus der EU.
Zu den wenigen Dingen, die man über Raab weiß, gehört seine Angewohnheit, jeden Mittag das gleiche Lunch zu bestellen: ein Baguette mit Geflügel und Caesar Salat, einen Obstsalat und einen Vitamin-Smoothie. Mit 44 Jahren gehört er der „neuen Generation“ der Konservativen an, von der die Premierministerin Theresa May spricht und die nicht nur in Ernährungsfragen eigene Wege geht.
Raab ist gesellschaftspolitisch liberal eingestellt und tritt für soziale Mobilität ein, wirbt aber gegen Quoten für Frauen oder ethnische Minderheiten. Er ist Verfechter internationaler Rechtsnormen und sprach sich zugleich für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union aus. „Vielleicht ist es genau diese Mischung, die ihn nun zur ersten Wahl für die Nachfolge im britischen Brexit-Ministerium werden ließ“ (faz.net).
Nach den Rücktritten sprach sie im Parlament und rief die EU zu mehr Entgegenkommen in den Brexit-Verhandlungen auf. Falls Brüssel sich nicht konstruktiver verhalte, drohe ein EU-Ausstieg des Königreichs ohne Abkommen, sagte May. Sie wollte die Brexit-Pläne des Kabinetts der Fraktion ihrer Konservativen Partei vorstellen. Jacob Rees-Mogg, Wortführer der EU-feindlichen Fraktionsmitglieder, sagte bereits zuvor, er und viele Kollegen würden gegen die Chequers-Vorschläge stimmen, da sie keine echte Befreiung von Brüsseler Regeln bedeuteten. Sprechen 15 Prozent der Fraktionsmitglieder May ihr Misstrauen aus, muss die Fraktion über die Zukunft der Premierministerin abstimmen. Allerdings gilt es als äußerst unwahrscheinlich, dass sich May dieser Herausforderung stellen muss.
EU-Ratspräsident Donald Tusk reagierte zurückhaltend auf die Rücktritte der beiden Minister. Politiker kämen und gingen, aber es blieben die Probleme, die sie für ihr Volk geschaffen hätten, so schrieb er auf Twitter. Leider verschwinde die Idee des Brexits nicht gemeinsam mit Davis und Johnson. Tusk warb immer wieder für die Idee, dass Großbritannien doch in der EU bleiben könne. Die EU-Kommission erklärte indes, sie sei bereit, 24/7 mit London zu arbeiten, auch in den Sommermonaten. Die EU will am Zeitplan festhalten; der Brexit ist für Ende März 2019 geplant.
Erneut wird deutlich, in welche Zwickmühle sich die Briten mit ihrem Referendum manövriert haben. Sie wollen raus aus der EU, aber die wirtschaftlichen Vorteile des Binnenmarktes behalten und gleichzeitig die Freiheit hinzu gewinnen, eigene Handelsverträge mit Drittstaaten zu schließen.
Das kann nicht gelingen, zumal die EU dieses Spiel nicht mitspielt. Die Pragmatiker in der britischen Regierung ersinnen immer neue Modelle, die unendlich kompliziert sind, die wirtschaftliche Katastrophe vielleicht verhindern, aber den Brexit nur noch im Namen tragen. Während die „Brexiters“ weiter von der großen Unabhängigkeit träumen und so die Zukunft der britischen Arbeitsplätze aufs Spiel setzen …