Horst Seehofer droht Merkel im Asyl-Streit, setzt ihr gar Frist bis Ende Juni (upday.com) Was kann der Innenminister selbst entscheiden und wo gilt Merkels Richtlinienkompetenz?

Im Streit um die Asylpolitik droht Bundesinnenminister Seehofer Bundeskanzlerin Merkel mit einem Alleingang. Seehofer will Asylbewerber, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, an den deutschen Grenzen abweisen. Die Kanzlerin will keinen deutschen Alleingang, sondern eine europäische Lösung. Frage: Was könnte Seehofer wirklich allein entscheiden?

Die sogenannte Richtlinienkompetenz der Kanzlerin ist in Artikel 65 unseres Grundgesetzes geregelt. „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung“, heißt es dort. Die Bundesminister sind an die Richtlinien der Regierungschefin gebunden. In Artikel 65 heißt es aber auch: „Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener Verantwortung“. Richtlinien bedeuten in diesem Zusammenhang Grundlinien der Regierungspolitik, also die allgemeine politische Ausrichtung, nicht dagegen jedes Detail der Regierungspolitik, da nach Art. 65 S. 2 GG jeder Bundesminister nach dem „Ressortprinzip“seinen Geschäftsbereich selbständig und eigenverantwortlich, aber innerhalb dieser Richtlinien leitet. Allerdings können – wie im Falle der Asylpolitik – auch Einzelfragen für die politische Ausrichtung wesentlich und dann Gegenstand von Richtlinien sein (wikipedia).

Richtlinienkompetenz“ contra „Ressortprinzip“, was geht vor?

Bei besonders wichtigen Themen kann die „Richtlinienkompetenz“ dazu führen, dass der Kanzler den Ministern Weisungen erteilt. Dadurch kommt es unter Umständen zum Konflikt mit dem „Ressortprinzip“, das jedem Minister ausreichend Freiraum zur eigenverantwortlichen Führung seines Geschäftsbereiches einräumt.

Ein weiterer Grundsatz der Bundesregierung ist das „Kollegialprinzip“. Nach dem Kollegialprinzip entscheiden die Kanzlerin oder der Kanzler und die Ministerinnen oder Minister gemeinsam über Angelegenheiten von allgemeiner politischer Bedeutung. Bei Meinungsverschiedenheiten ist die Bundeskanzlerin „prima inter pares“, zu deutsch: die Erste von mehreren im Rang auf der gleichen Stufe stehenden Personen. Dies bedeutet: Kommt es zum Streit zwischen Minister/-innen, schlichtet die Bundeskanzlerin. Das Kabinett muss schließlich mit Mehrheit zu einer Entscheidung finden.

Die Bundeskanzlerin ist bei der Ausübung ihrer Kompetenz frei und rechtlich nicht an Weisungen anderer Verfassungsorgane gebunden. Zwar muss sie Rücksicht auf die sie tragende Mehrheit im Bundestag nehmen, doch rein rechtlich kann ihre Richtlinienkompetenz nicht einmal durch eine Koalitionsvereinbarung eingeschränkt werden.

Richtlinienkompetenz und Ressortzuständigkeit stehen in einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis, das in der Praxis politisch aufgelöst wird und zu dem keine Rechtsprechung existiert. Verfassungsexperten sehen die Bundeskanzlerin am längeren Hebel sitzen: Sie besitze eine weitgehende Definitionsmacht darüber, wie sie ihren politischen Führungsanspruch versteht, so die Trierer Staatsrechtlerin Prof. Dr. Antje von Ungern-Sternberg (lto.de). Die Definitionsmacht Merkels folge aus ihrer verfassungsrechtlichen Stellung, wonach sie dem Bundestag gegenüber die Gesamtverantwortung für die Bundesregierung trägt (Art. 63, 67, 68 GG) und die Minister auswählt (Art. 64 GG). Sie trage daher auch das Risiko, die Regierungsmehrheit und damit ihr Amt zu verlieren.

Seehofer ist sich dieser Problematik offenbar bewusst. Passend, weniger zufällig, traf er sich ausgerechnet während des Integrationsgipfels mit Österreichs Bundeskanzler Kurz, der gerade auf Staatsbesuch im Land war. Im Anschluss verkündete Kurz, man wolle im Hinblick auf eine europäische Lösung eine „Achse der Willigen“ schmieden, bei der Österreich mit Seehofer einen „starken Partner“ habe. Seehofer formulierte die nächste Kampfansage an Merkel, als er mitteilte, er habe den Wunsch von Italiens Innenminister Salvini angenommen, dass Rom, Berlin und Wien auf der Ebene der Innenminister beim Thema Sicherheit und Migration zusammenarbeiten sollten.

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