Etwas fürs Feuilleton. Reflektieren wir uns doch einmal selbst! Wo sind wir geboren? Wohin hat es uns verschlagen? Wir passen uns an, das liegt in unserer Natur.
Während es in der Großstadt häufig um Selbstdarstellung und Coolness-Faktor geht, kann man auf dem Dorf – oder besser gesagt in seinem Dorf – niemandem etwas vormachen. Man ist derjenige, der man schon immer war, egal, ob man jetzt in der fancy Großstadt oder noch daheim wohnt. Allerdings kann man daheim auch seine peinlichen Seiten ausleben, während Du in der Großstadt sehr oft auf Deine Attitude oder Deinen Instagram-Account achtest – und Dich so verhältst, dass Du sympathisch daherkommst. Auch wenn man in der anonymen Großstadt manchmal versucht, den kunstbewussten, Trenchcoat tragenden Intellektuellen zu spielen, braucht man das in seinem Dorf nicht mal annähernd zu versuchen. Den Kumpels von früher sind die Insta-Follower egal. Man kommt nach Hause und ist sofort wieder der Alte – obwohl man in der Zwischenzeit viele neue Leute kennengelernt und Erfahrungen unterschiedlichster Art gemacht hat. Dieser Cut wird besonders deutlich, wenn man die Heimreise antritt. Wenn man den Zug dorthin nimmt, vom Schnellzug in die Bimmelbahn umsteigt und von ganz vielen Lichtern irgendwann nur noch durch die schwarze Nacht fährt, dann wird es dörflich, man ist fast angekommen.
An diesem Ort haben früher auch mal Deine Freunde gelebt. Sie feierten in heruntergekommenen Großraumdiscos, von denen man in der hippen Großstadt noch nicht mal erzählen will, hörten Metallica abends am See und hatten ihre ersten Abstürze auf der Garagen-Party der besten Freundin. Wenn du heimfährst, holt dich dein altes „Ich“ automatisch ein, ob Du es willst oder nicht. Egal, wo Du aktuell wohnst oder ob Du gerade dabei bist, Dich neu zu erfinden. Besonders deutlich merkt man das beim Feiern. Während man nun in fancy Clubs oder Bars geht und Gin Tonic trinkt, kann man im Dorf oder in der Kleinstadt nur so richtig feiern, wenn Jahrmarkt ist. Dann kommen aus der weiten Ferne alle wieder nach Hause, egal, wie busy sie gerade waren. Schließlich spricht man Neu-Hochdeutsch!
Während Du in den letzten Jahren noch so richtig drin warst in dieser Welt, kommst Du nun – nachdem Du für Studium oder Job weggezogen bist – von weiter her und siehst dadurch vieles mit Distanz. Die Menschen in der näheren Umgebung betrachtet man jetzt von außen, reflektiert (man ist der Beobachter aus Distanz) und denk, wie uncool man doch die letzten Jahre war, während man sich für diese Authentizität und Ehrlichkeit im gleichen Moment feiert. Ein jeder merkt auch, wie wohl er sich fühlt, wenn er erst mal angekommen ist, in seinem Kinderzimmer und in seinem Bett schlafen kann; augenscheinlich einfach alles wie immer ist. Doch mit der Zeit wird einem bewusst, wie man sich verändert hat, wie man manche Meinungen nicht mehr teilt und auch zu manchen Freunden ein Stück weit den Draht verloren hat. Denn während man häufig eine neue Sicht auf Dinge bekommt, weil man sich an einem fremden Ort befindet, entwickelten sich manche der Daheimgebliebenen nicht weiter und blieben ihren alten Mustern treu.
Wir haben zwei Welten und stellen uns immer wieder neu, wie ein Chamäleon, auf jede der beiden ein. Doch gerade das finden viele toll, haben auf der einen Seite ihre Heimat auf dem Land, die sie wie ihre Westentasche kennen. In der sie alte Freunde im kleinen Café am Marktplatz treffen und sonntags zum Mittagessen bei den Eltern oder Großeltern sind. Auf der anderen Seite lieben viele die anonyme Großstadt mit all ihren Bars, Cafés und Clubs. Haben die Möglichkeit, so viele neue Leute kennenzulernen, für die sie ein unbeschriebenes Blatt sind und können sich selbst von einer vollkommen neuen Seite kennen lernen. Die „Reise in das eigene ´Ich´ …“.
Menschen vom Dorf haben also zwei Leben und zwei Welten. Ein ungemeiner Reichtum, man will seine aufregende Welt in der Großstadt nicht missen und – wann immer einen die Lust auf wohlige Heimat packt – sich in den Zug setzen und nach Hause fahren.
Die moderne Zeit hat viele Vorteile und Annehmlichkeiten. Noch nie waren die Transportmittel so schnell und komfortabel. Noch nie konnte man sich so gut selbst darstellen wie in sozialen Netzwerken. Grundsätzlich ist gegen all das nichts einzuwenden. Man hat Freude und bleibt geistig flexibel. Man kann sich immer das gerade Angenehme aussuchen. Ja, das ist ein Luxus! Wir sollten aber darauf achten, dass wir uns in all diesem Rummel nicht selbst verlieren und – indem wir uns digital profilieren – vielleicht auch selbst verleugnen. Andere kann man vielleicht täuschen; sich selbst nicht!