Um Weihnachten hatten wir zweistellige Plusgrade draußen. Heute, wenn ich aus dem Fenster schaue, eine Frostlandschaft. Es ist kalt! Nicht, dass ich mich beschweren will: Das Wetter passt, der Anblick der Natur ist märchenhaft. Es gibt kein schlechtes Wetter, in diesem Falle nur zu dünne Kleidung. „Früher hatten wir noch richtige Winter!“ hört man die Alten immer sagen. War das so? Gehen wir zunächst einmal 88 Jahre zurück in die Vergangenheit.

Man schrieb das Jahr 1928: Es war kalt, sehr kalt, Temperaturen weit unter Null herrschten am 30. Dezember, einen Tag vor dem Jahreswechsel und es sollte noch viel schlimmer werden am Niederrhein, denn die Temperaturen sanken im Laufe der Wochen auf Minus 16 Grad. Für Mitte Januar aber sagte der Wetterbericht milde Temperaturen voraus, doch schon bald sollte neuerlicher Frost einsetzen, der bis Ende Januar an Stärke zunahm.

Temperaturen um 24 Grad unter Null ließen die Welt erstarren. Und erstarrt war dann auch der Rhein. Bereits am 2. Februar hatten Anwohner Treibeis auf dem Fluss ausgemacht. Die Schiffer suchten ihr Heil in den naheliegenden Häfen, so auch im Thyssen-Werkshafen Schwelgern. Am 10. Februar schließlich war es soweit – der Rhein stand. Und zwar so ziemlich auf kompletter Länge, also nicht nur am Niederrhein, sondern auch am Oberrhein sorgte das Eis für ein komplettes Chaos.

Kinder und Ausflügler strömten zu Hunderten aus dem Ruhrgebiet an den Rhein, um sich das Schauspiel aus der Nähe anzusehen. Denn ihre Generation hatte so ein Spektakel noch nie erlebt. Wohl aus den Geschichten der Eltern und Großeltern war zu hören, dass auf dem Rhein des Öfteren in den vergangenen Jahrhunderten Eis getrieben war. So schön dieser Anblick wohl immer gewesen ist, so gefährlich war es für die Anwohner auch, denn nach den meisten Eisgängen kam das Wasser. Schon 1784 richtete der Abgang des Eises große Schäden an. In dem durch Eisgang 1809 überschwemmten Land verlor gar die 17-jährige Johanna Sebus aus Cleve bei der Rettung ihrer Mutter und einer Ziege ihr Leben.

1838 gab es am Niederrhein wieder einen strengen Winter, erst kam das Eis, dann das Hochwasser, das ganz Rees innerhalb von nur 40 Minuten unter sich verschwinden ließ. 1861, 1870, 1871 und 1879 war laut alten Zeitungsberichten der Rhein wieder zugefroren. Dann aber wurden die Winter milder, erst 1917 gefror der Rhein wieder, so dass man mit Wagen und Pferd hinübersetzen konnte. Doch als sich das Eis damals in Bewegung setzte, staute es sich auf gut einen Meter Dicke.

Nichts im Vergleich zum Winter 1929. Meterhoch türmte sich das Eis auf, stellenweise bis zu sechs Meter. Bis auf den Rheingrund setzte es sich fest – nichts ging mehr! Die Zahl der Schaulustigen an den Ufern des zugefrorenen Rheins wuchs an, sogar warme Würstchen soll es für die Gäste am Ufer und auf dem Rhein gegeben haben. Ein Autofahrer versuchte, mit seinem Wagen den Rhein zu überqueren – er blieb allerdings stecken, mit Pferd und Wagen ging es besser. Ja, in Götterswickerhamm hatten es sich sogar einige Einwohner zum Skatspielen auf dem Rhein gemütlich gemacht. Einen echten „An-Rheiner“ kann nichts erschüttern. Allerdings steht zu vermuten, dass hier lediglich ein Foto geschossen werden sollte, denn die Kälte machte einen längeren Aufenthalt auf dem Rhein schier unmöglich.

Der Industrie hingegen gefiel der frostige, aber vor allem ausdauernde Winter überhaupt nicht. Hochöfen mussten stillgelegt werden, die Erzzufuhr war durch die nicht mehr vorhandene Schifffahrt zum Erliegen gekommen. So hieß es Anfang März in der Hamborner Sonntagszeitung: „Durch den Eisgang auf dem Rhein ist die Erzzufuhr für die Hochöfen der Hütte Ruhrort/Meiderich total ins Schwanken gekommen. Nur zwei Hochöfen werden weiterblasen.“ Zur befürchteten Stilllegung der Hütte kam es allerdings nicht – am 7. März plötzlich passierte etwas mit den Eismassen. Mit großem Geknirsche hatten sie sich zuckend auf natürlichem Wege in Bewegung gesetzt.

Zuvor allerdings hatte man versucht, mit Sprengungen den Rhein befahrbar zu machen. Erst am Oberrhein, was jedoch die Gefahr für den Niederrhein erhöhte, denn das Eis von dort war weiter den Rhein hinunter getrieben und staute sich nun in vielen Ortschaften am Niederrhein und brachte die Anwohner in nicht ungefährliche Situationen. So entschloss man sich auch hier, dem Eis mit Gewalt zu Leibe zu rücken. Es detonierten Sprengladungen. Man sah Eisbrocken bis 70 Meter hoch in die Luft fliegen. Einige Fensterscheiben zerbarsten. Doch der Rhein habe sich nicht von der Stelle gerührt, das Eis sei lediglich umgeschichtet worden, erzählte damals ein Augenzeuge.

Am 7. März 1929 machte sich das Eis dann selbst auf den Weg, der Rhein hatte sich aus eigener Kraft befreit und blieb auch für Jahrzehnte eisfrei. Erst in den Jahren 1956 und 1963 trieben wieder Eisschollen über den Fluss, eine Fahrrinne blieb jedoch erhalten, und auch zur Jahreswende 1978/79, als der Norden unter einer Schneedecke versank und auch der Niederrhein wieder vereiste, war der Fluss befahrbar.

Ich sage: Ganz so schlimm wird’s nicht mehr kommen; mit dem Klimawandel und so …

Guten Rutsch an alle!

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