Bei Helmut Schmidt ist es in doppelter Hinsicht eine Altersfrage: Zum einen erreichte Herr Schmidt ein biblisches Alter. Am 23. Dezember 2015 wäre er 97 Jahre alt geworden. Zum anderen kennt ihn die junge Generation oft – wenn überhaupt – nur noch vom Hören-Sagen. Soweit liegt seine Kanzlerschaft in den Jahren 1974 bis 1982 schon zurück.

Im Dezember 1918 im Hamburg-Barmbek als Sohn eines Lehrers geboren, ist er bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gerade 20 Jahre alt. In den Jahren 1941/42 kämpft er in einer Panzerdivision an der Ostfront, später an der Westfront.

Schmidt, der einen jüdischen Großvater hat, marschiert zwar in den dreißiger Jahren schon mal mit der Marine-Hitlerjugend. Im Krieg aber sagt er jedem, wie widerwärtig ihm das NS-Regime sei. Der Einsatz vorgesetzter Generäle bewahrt ihn vor einem Prozess. 1945 gerät Oberleutnant Schmidt in britische Kriegsgefangenschaft.

Schmidt hat die Menschen um sich herum bis zum Schluss in zwei Kategorien eingeteilt. Die, die den Krieg erlebt haben. Und jene, die „mit größter Unbefangenheit und Naivität an die politischen Aufgaben rangehen“.

Die Kriegsgefangenschaft habe ihn politisiert, dort sei er Sozialdemokrat geworden, wie er später sagt. 1946 tritt er in die SPD ein. Nach dem Krieg studiert er Staatswissenschaften und Volkswirtschaft, wird Verkehrsdezernent in Hamburg. 1953 zieht er in den Deutschen Bundestag in Bonn ein. Damals macht er sich erstmals als „Schmidt-Schnauze“ einen Namen.

Zurück in der Heimat will Schmidt mitregieren, als Innensenator in Hamburg. 1962 kommt die große Bewährungsprobe: Die Flut bricht über Hamburg herein. Das Wasser überrascht alle. Schmidt bleibt besonnen, zieht halblegal die Kommandogewalt im Lagezentrum an sich, das ihm wie ein Hühnerhaufen vorkommt. Er koordiniert die Rettungskräfte, befehligt Bundeswehrsoldaten, fordert Nato-Hubschrauber an.

Nach der Flut ist Schmidt der „Macher“, der Krisenmanager. Er wechselt wieder nach Bonn, wird Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, danach Verteidigungsminister unter Bundeskanzler Willy Brandt. Er baut die Streitkräfte um: Schmidt entstaubt die junge, aber in überkommenen Traditionen verhaftete Armee, setzt die Prinzipien der inneren Führung und des Bürgers in Uniform durch. Die Bundeswehr-Universität in Hamburg trägt heute seinen Namen. Zwei Jahre amtiert er als Finanzminister, dann fällt ihm die Kanzlerschaft zu. Willy Brandt tritt wegen der Spionage-Affäre um Günter Guillaume zurück. Schmidt bedrängt Brandt noch, wegen so etwas solle dieser nicht hinschmeißen. Brandt hört nicht auf Schmidt, am 16. Mai 1974 wird letzterer zu seinem Nachfolger gewählt. Es folgen Krisenzeiten, politisch und wirtschaftlich. Die Ölkrise, wachsende Verschuldung und Arbeitslosigkeit, schließlich der Terrorismus der Roten Armee Fraktion (RAF), der im Herbst 1977 seinen blutigen Höhepunkt findet. Die Entführungen der Lufthansa-Maschine „Landshut“ und des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer werden die härteste Probe für Schmidt in seinem politischen Leben. Er lässt die GSG 9 in Mogadischu die Geiseln befreien.

Es sind wirtschaftlich schlechte Zeiten. 1982 Schmidt nimmt lieber Schulden auf, als das Land zu reformieren. Der Koalitionspartner FDP will eine andere Politik. In der eigenen Partei sieht er sich wachsender Kritik ausgesetzt, weil er sich für den Nato-Doppelbeschluss ausspricht. Ende 1982 zerbricht die Koalition. Die FDP läuft zur Union über und macht Helmut Kohl zum Kanzler. Ein Jahr später schlägt Schmidt ein neues Kapitel in seinem Leben auf, wird Mitherausgeber der ZEIT. 1987 verlässt er den Bundestag.

Viele seiner Entscheidungen waren visionär: Der von ihm forcierte Nato-Doppelbeschluss, die Aufrüstung mit Pershing-II-Raketen, hat letztlich 1987 zu den Abrüstungsabkommen geführt. Die Einführung des von Schmidt und dessen Freund, dem französischen Präsidenten Giscard d’Estaing entworfenen Europäischen Währungssystems hat die Grundlage geschaffen für die spätere Einführung des Euro.

Helmut Schmidt blieb der ZEIT bis zu seinem Tode verbunden, er ist nebenbei Autor vieler Bücher. Politiker jeglicher Couleur und Menschen weltweit schätzten seinen auf Altersweisheit basierenden Rat.

In einer Zeit, in welcher der Intellekt zusehends flacher wird, das Leben immer oberflächlicher, reißt der Tod Helmut Schmidts am 10. November 2015 eine Riesenlücke in unsere Gesellschaft, die wir nicht mehr füllen können. Er wird uns fehlen, der Politiker, Publizist und Philosoph.

Danke, Helmut Schmidt!

 

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