Entstanden ist unser Strafgesetzbuch nach der Reichsgründung unter Bismarck. In Kraft ist es seit 1872 mit den entsprechenden Änderungen über die Jahrzehnte. Es ist ein Zeugnis der Strafrechtsgeschichte. So zum Beispiel stehen die Beleidigungsdelikte (§§ 185 ff) vor den Tötungsdelikten (§§ 211 ff), ein Zeichen, dass zur damaligen Zeit die Ehre höher stand als das Leben. Nicht verwunderlich in einer Epoche, in der Duelle gang und gäbe bzw. noch nicht allzu lange her waren.

Recht ist im Fluss, d.h. man muss es von Zeit zu Zeit den aktuellen Erfordernissen anpassen. So war über die letzten zwanzig oder dreißig Jahre immer wieder der Ruf nach Verschärfungen des Strafmaßes zu hören. Nehmen wir nur die Beispiele Doping und Einbruchdiebstahl. Die Abschreckungswirkung des Strafmaßes ist die, auf welche man setzt. Der Täter soll die Tat erst gar nicht begehen! Man unterscheidet hierbei General- und Spezialprävention: die Allgemeinheit, potenzielle Täter, sollen abgeschreckt werden, Straftaten zu begehen. Bei letzterem ist der Strafzweck gefragt, die Einwirkung auf den Täter (§ 46 Abs. 1 Satz 2). Das ist alles sehr wissenschaftlich. Allein bleibt die faktische Erkenntnis: die Strafrahmen sind in den oberen Bereichen eigentlich schon ziemlich hoch. Die Richter nutzen den Strafrahmen nur nicht bis nach oben bei der Strafzumessung aus. Und: richtig abgeschreckt vor einer Tat wurden bisher die wenigsten. Warum? Weil jeder, der eine Straftat begeht, in diesem Moment in seinen Augen das „perfekte Verbrechen“ begeht. Keiner will erwischt werden. So richtig funktioniert das mit der Abschreckung also nicht!

Nun ist ein gegenläufiger Trend zu verzeichnen: Man will die Drohung der lebenslangen Freiheitsstrafe bei Mord aufweichen. Zum Verständnis: Lebenslang heißt lebenslang! Das Bundesverfassungsgericht hat in den 1970er Jahren entschieden, dass der verurteilte Mörder die Chance auf Strafaussetzung haben muss. Das hängt mit dem Resozialisierungsgedanken zusammen. Ähnlich wie in der Medizin ein Mensch geheilt wird, so soll dies auch im Strafvollzug geschehen, d.h., der Insasse der Vollzuganstalt wird wieder gesellschaftsfähig gemacht. Wir wissen alle, dass der Gedanke der Resozialisierung stark umstritten ist. So zum Beispiel bei Triebtätern. Aber auch hier besteht theoretisch die Möglichkeit, jene nach Verbüßung der Strafe weiter in Sicherungs-verwahrung zu halten zum Schutz der Gesellschaft. Durch Fehler der Gutachter und/oder der Gerichte kommen aber oft Täter frei, die nicht freigelassen hätten werden dürfen.

Die Strafaussetzung soll, so das Bundesverfassungsgericht, nach Verbüßen von zwei Dritteln der Strafe möglich sein. Bei „Lebenslänglich“ werden fünfzehn Jahre angenommen.

Bei der Reform will man jetzt die Tätertypenlehre, welche die Nazis anwandten, aus den Paragraphen streichen. Es soll unter anderem keinen „Mörder“ und keinen „Totschläger“ mehr im Gesetz geben. Weg von der Definition über den Täter, hin zur Tat. Der Katalog der Mordmerkmale, die den Totschlag zum Mord machen, soll erweitert werden: künftig sollen auch Tötungen wegen des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, des Glaubens oder aus rassistischen Beweggründen als Mord geahndet werden. „Heimtücke“ und „niedrige Beweggründe“ als Mordmerkmale sollen fallen. Sie wurden auch von den Nazis eingeführt.

Die Abschaffung der ersteren Variante hat etwas für sich: „Heimtücke“ benachteiligt körperlich unterlegene Täter. So zum Beispiel beim sogenannten „Haustyrannenmord“. Denn in seiner aktuellen Fassung wird als Mörder eingestuft, wer „heimtückisch“ einen anderen Menschen tötet. Das benachteiligt Ehefrauen, die ihre Ehemänner nach Jahren der Erniedrigung und Gewalt im Schlaf töten.

Man darf gespannt sein, was die Reform bringt. Hoffentlich nicht nur „Kosmetik“ und unnötige Verkomplizierung des Gesetzestextes.

© Thomas Dietsch

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