Um Ostern herum habe ich noch keinen gesehen. Ich hoffe aber, dass sie bald kommen werden: die Schmetterlinge! Böse Zungen behaupten, dass diese possierlichen Tierchen im Rahmen des „Schmetterlingseffekts“ großes Unheil anrichten können. Ein Flügelschlag hier bei uns soll zum Beispiel in Argentinien zu einem Tornado führen. Man kann das glauben oder auch nicht. In letzter Zeit bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich wirklich ein „Nein!“ darauf antworten kann.
Frage: Können ein paar fanatische Separatisten einen Weltkrieg heraufbeschwören? 1914 oder 1939 hätte man hierauf entgegnet: „Hoffentlich nicht!“ und es kam doch anders. Ist es heute unmöglich?! Ich sage: „Hoffentlich!“, aber mir fehlt ein wenig der Glaube. Die Krim! Ich weiß: zum hundertsten Mal! 1954 schenkte Chruschtschow die damals russische Halbinsel in unendlicher Großzügigkeit der Ukraine. Ein großes Geschenk ohne praktische Relevanz zu Zeiten der Sowjetunion. Nach dem Zerfall der Sowjetunion musste geklärt werden, wer sich um die in der Ukraine stationierten sowjetischen Atomwaffen kümmert. Auf Drängen von mehreren Seiten trat die Ukraine dem Atomwaffensperrvertrag bei und überließ die Raketen Russland. Im Gegenzug erhielt sie Sicherheitszusagen, was ihr Staatsgebiet unter anderem angeht, von den USA, Großbritannien und von Russland. Dies geschah mit dem Budapester Memorandum 1994. Russland stationierte hieraufhin Truppen in der Ukraine, auf der Krim die Schwarzmeerflotte. Und genau diese Truppen im Land, nämlich auf der Krim, wurden zusammen mit angeblichen nichtrussischen Truppen ohne Hoheitszeichen, die aber unter anderem russische Waffen trugen, von Beschützern zu einer Bedrohung. Stimmen wurden laut: „Hau ab, oder sie töten dich!“. An der Grenze zur Krim ließ man weitere Truppen aufmarschieren. Ein Einmarsch auf der Krim stand unmittelbar bevor. Um ein wenig Entspannung zu bringen, bastelte man schnell eine Volksabstimmung. Nur die Krim stimmte ab, nicht die Bevölkerung der Ukraine, die übrigens mehrheitlich gegen die Abspaltung war. Das ganze unter dem Damoklesschwert eines Einmarsches russischer Truppen. Alles fein demokratisch und völkerrechtlich ok.?! Mitnichten! Eine Abstimmung entsprechend der UN-Charta hätte einer beiderseitigen Zustimmung der betroffenen Staaten Ukraine und Russland bedurft und hätte unter internationaler Überwachung ablaufen müssen. Also: Die Krim wurde völkerrechtswidrig annektiert! Jetzt geht es munter weiter: die Ost-Ukraine wird für Russland interessant. Man benötigt eine Landbrücke von Russland zur Krim! Auch hier heizen prorussische Separatisten die Stimmung an, besetzen wichtige Gebäude. Man hat miteinander geredet auf dem Ukraine-Gipfel in Genf, mit mehr oder weniger Erfolg. Dass der ukrainische Staatsapparat mit den Terroristen, die angeblich in keiner Verbindung zu Moskau stehen, aufgeräumt hat und versuchte, den inneren Frieden, wenn auch mit harten Mitteln wieder herzustellen, wird von Moskau dahingehend kommentiert, „das Vorgehen sei ein Verbrechen!“. Etwas ist anders als 1914 und 1939: Man lässt keine Panzer mehr rollen, droht nur noch damit, einzumarschieren. Flankiert wird dies mit einer Gaspreiserhöhung durch Gazprom für die Ukraine um 44 Prozent und der Aufforderung an das Nachbarland, endlich die horrenden Altschulden aus vorherigen Gaslieferungen zu bezahlen. Dann kommt noch die freche Ermahnung Putins obendrauf, man solle doch seitens der Europäischen Union die Ukraine, welche mehr als pleite ist, finanziell unterstützen. Die russische Regierung hat mit der Krim beziehungsweise der Ukraine sowohl ein militärisches als auch ein wirtschaftliches Problem. Letzteres, weil, wie gesagt, die Ukraine in finanzieller Not ist, mit ihr also auch die Krim. Und seit die Russen sich dort tummeln, geht da so gut wie niemand mehr in Urlaub. Die Gelder fehlen. Das wird teuer, Herr Putin! Wenn ich Gregor Gysis Aussage im Bundestag vor einiger Zeit richtig verstanden habe, dass niemand die Bedrohung für Russland ernst nehme, dann haben wir auch ein militärisches Problem: Für die russische Regierung gäbe es nichts Schlimmeres, als wenn die Ukraine der NATO beiträte. Und das steht ihr frei, und die Allianz könnte das Beitrittsgesuch noch nicht einmal ablehnen, wenn man den Aussagen der Juristen in den letzten Wochen Glauben schenken darf. Der Nachbarstaat im feindlichen Bündnis, amerikanische beziehungsweise NATO-Truppen völlig legal mitten im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Nicht auszudenken! Oder man beantworte sich die Frage, warum die Türkei in der NATO ist: Sie kontrolliert die Meerenge am Bosporus, dem Zugang vom Schwarzen Meer ins Mittelmeer. Die Durchfahrtsrechte für Russland sind seit 1936 im Vertrag von Montreux gesichert. Was, wenn der Westen den Spieß umdrehte und die Meerenge rechtswidrig dichtmachte? Ein militärischer Konflikt wäre vorprogrammiert! Alles in allem: die Situation 2014 mag mit der von 1914 oder 1939 nicht hundertprozentig vergleichbar sein. Die Gefahr einer weltweiten Auseinandersetzung besteht dennoch!
Zum Schluss noch folgende Anekdote: In Gagausien und Transnistrien (kenne ich auch erst seit Kurzem!), zwei autonomen Gebieten in Moldawien oder auch Republik Moldau genannt, welche wiederum östlich von Rumänien liegt, sind noch russische Truppen aus der Zeit der Sowjetunion stationiert. Deren Bevölkerung will mehrheitlich den Anschluss an Russland. Die Gagausen sind mehrheitlich ein turkstämmiges Volk, dort wohnen kaum Russen. In Transnistrien liegt der Anteil der russischen Bevölkerung bei rund 30 Prozent. Es ist die wirtschaftliche Sicherheit der Sowjetunion, die den Menschen dort fehlt. Beiden Regionen geht es ökonomisch nicht gut.
Ja, ich sehe Schmetterlinge seit einiger Zeit mit anderen Augen! Trotzdem schöne Tiere …
© Thomas Dietsch