Im Fall Jan Böhmermann kollidieren die Kunstfreiheit und das Persönlichkeitsrecht.

Was darf Satire? Was nicht?

Die Heilserwartung, das Strafrecht werde die Dinge wieder geraderücken, ist dem geschuldet, dass sich im deutschen Strafgesetzbuch ein Paragraf befindet, der für den Fall wie geschaffen scheint: jener § 103 StGB, dessen Anwendbarkeit an die Voraussetzung geknüpft ist, dass die Bundesregierung ihre Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt (§ 104a StGB).

Jan Böhmermann hat Anfang April im ZDF ein Gedicht vorgetragen, das von Kränkungen und Schmähungen gegenüber dem türkischen Präsidenten nur so strotzte. Dem Präsidenten wurden in diesem Gedicht homoerotische, sodomitische und pädophile Neigungen nachgesagt, seine Genitalien wurden verhöhnt und er wurde der Impotenz verdächtigt.

Die einzelnen Schimpfverse unterfallen ohne großen Subsumtionsaufwand dem Tatbestand der Beleidigung im Sinne des Strafgesetzbuches. Eine Beleidigung liegt vor, wenn der Beleidigende verbal oder gestisch gegenüber dem Beleidigten Nicht- oder Missachtung bekundet. Geschützt ist die persönliche Ehre.

Das gilt sowohl für den Tatbestand des § 103 StGB, der als Spezialdelikt das Beleidigen einer bestimmten Personengruppe – ausländische Staatsoberhäupter – unter Strafe stellt, wie für den Tatbestand des § 185 StGB, der die Beleidigung gegenüber jedermann ahndet.

Da beide Normen vom selben juristischen Beleidigungsbegriff ausgehen, ist die derzeit diskutierte Frage, ob die Bundesregierung die für die Verfolgung eines Deliktes nach § 103 StGB erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen wird, belanglos. Sie spielt im Fall einer Verurteilung Böhmermanns lediglich eine Rolle für das Strafmaß, da das Delikt des § 103 eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vorsieht, während bei Beleidigung nach § 185 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr droht.

Für die Frage, ob überhaupt eine Strafverfolgung stattfindet, ist die Ermächtigung der Bundesregierung hingegen unwichtig – Präsident Erdoğan hat einen Strafantrag wegen Beleidigung gestellt und die Staatsanwaltschaft Mainz hat ihre Ermittlungen aufgenommen – nach § 185 StGB – unabhängig von einer Ermächtigung der Bundesregierung.

Juristisch liegt die Problematik in einem anderen Bereich: Eine tatbestandlich gegebene Beleidigung bleibt nach deutschem Strafrecht dann straflos, wenn die inkriminierten Äußerungen in Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht wurden – so formuliert es § 193 StGB. Ein solcher Rechtfertigungsgrund hebt die Strafbarkeit der Äußerung auf.

Diese Norm ist das „Einfallstor“ des Grundgesetzes in den Wirkungsbereich des Strafrechtes – und somit auch der Kunstfreiheit. Die Kunstfreiheit nach Artikel 5 Absatz 3 GG ist ein sehr starkes, durch die Verfassung schrankenlos gewährleistetes Grundrecht.

Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes – in der Folge auch der Verwaltungs- und Strafgerichte – anerkannt, dass Satire dem Schutzbereich der Kunstfreiheit untersteht. Das Bundesverfassungsgericht hat stets als wesentlich für die künstlerische Betätigung „die freie schöpferische Gestaltung“ betont, „in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden“.

Nach diesem weitgehenden Kunstbegriff dürfte es schwerfallen, dem Schmähgedicht die Eigenschaft als Kunstwerk abzusprechen.

Eine Strafbarkeit ist damit noch nicht ausgeschlossen. Vielmehr muss auch das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht der Kunstfreiheit dort Grenzen akzeptieren, wo Grundrechte anderer durch eine künstlerische Betätigung berührt oder gar verletzt werden. Dies gilt besonders für das ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht, dem auch die persönliche Ehre zuzuordnen ist.

Allerdings begrenzt die Kunstfreiheit ihrerseits wieder das Persönlichkeitsrecht. Um diese Grenze zu bestimmen, genügt es im gerichtlichen Verfahren nicht, ohne Berücksichtigung der Kunstfreiheit eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts – hier in Form einer Beleidigung – festzustellen: Es bedarf vielmehr der Klärung, ob diese Beeinträchtigung derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurückstehen muss.

Eine schwerwiegende Abwägung! Jene muss die Staatsanwaltschaft Mainz vornehmen und – im Falle einer Anklage – das Amtsgericht Mainz verhandeln.
Wir haben vorliegend ein juristisches Paradebeispiel für die Erprobung der Grenzen der Satire – und zugleich eine Demonstration von deren Macht.

Es ist wahrscheinlich, dass das Verfahren zugunsten Böhmermanns enden wird.

Alles andere wäre eine vollkommene Umkehr der deutschen Verfassungsrechtsprechung zur Freiheit der Kunst, wenn am Ende nicht ein Freispruch und damit ein „im Zweifel für die Freiheit“ stünde.

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