Nicht wenige glauben, dass sich der Kapitalismus im Zuge der rasanten Entwicklung der elektronischen Produktivkräfte von selbst abschaffen werde. Das Ziel einer solidarischen und gerechten Gesellschaft, an deren Aufbau sich alle Wohlmeinenden beteiligen können, scheint im Zuge immer kostengünstigerer Möglichkeiten digitaler Vervielfältigung und Verbreitung von Erzeugnissen durch das Internet in greifbare Nähe zu rücken – ganz ohne Arbeitskämpfe, politische Auseinandersetzungen oder gar eine Revolution.

Das Zauberwort heißt „Share Economy“. Da viele Güter nicht mehr erworben werden müssten, sondern geteilt werden könnten, würde die Profitrate der Konzerne in einem so großen Maße sinken, dass diese ihre gesellschaftliche Machtstellung aufgeben müssten. Das jedenfalls meint der US-amerikanische Wirtschafts- und Politikberater Jeremy Rifkin. Das ökonomische Leben werde demokratischer, verkündete er im Handelsblatt (16.10.2014). Hinzu käme ein positiver ökologischer Effekt: Der Wandel vom Besitz zum Zugang führt auch dazu, dass mehr Menschen weniger Gegenstände teilen, wodurch die Anzahl von neuen Produkten, die verkauft werden, deutlich sinkt. Deshalb werden weniger Ressourcen benötigt, und die globale Erwärmung geht ebenfalls zurück. Die kapitalistische Produktionsweise, so suggeriert Rifkin, werde mit Hilfe der Share Econcomy in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts an Bedeutung verloren haben.

Durch das Teilen sollen Menschen, die sich bis dahin als passive Konsumenten empfanden, in die Lage versetzt werden, mehr Kontrolle über ihr Leben zu gewinnen. Man beginnt mit informellen Tauschbeziehungen – einem Freund das Auto leihen, die Bohrmaschine ausborgen oder ein paar Besorgungen für die Nachbarn erledigen – und nutzt sodann das Internet, um sie im großen Stil zu organisieren, und schon können wir als einzelne stärker aufeinander bauen als auf die anonymen Konzerne. Bei jedem Tauschgeschäft kann jemand ein wenig Geld verdienen und jemand anderes ein bisschen Zeit sparen.

Die unbequemen Wahrheiten der Share Economy:

Die Bewegung wendet sich gegen alle, die derzeit den Markt beherrschen, wie große Hotelketten, Schnellrestaurants und Banken.

Im Unterschied zu diesen auf klassische Weise expandierenden Unternehmen profitieren digitale Plattformen auf mehrfache Weise von ihrer Größe. Wenn sich ihr Geschäftsvolumen merklich vergrößert, ist das kaum mit höheren Kosten verbunden, denn der Preis für die Nutzung einer Computercloud steigt nur unwesentlich. Zugleich zieht die Nachfragemacht gegenüber den Anbietern von Leistungen ständig an – den Fahrern bei Uber, den Verlagen bei Facebook, den Musikfirmen bei Youtube usw.. Das schafft Raum für die Durchsetzung härterer Konditionen.

Kritiker meinen: An die Stelle der herkömmlichen Unternehmen, die Menschen noch überwiegend in geregelten Arbeitsverhältnissen beschäftigen, treten digitale Plattformen, die Konsumenten direkt mit einer ständig wachsenden Zahl von Arbeitskraftverkäufern – euphemistisch Mikrounternehmer genannt – verbinden. Dabei handelt es sich in Wirklichkeit um eine neue Form von Tagelöhnerei. Diese Plattformen werden von Firmen zur Verfügung gestellt, die an privatem Profit orientiert sind. Die radikale ökonomische Strukturveränderung, die mit dem Siegeszug digitaler Plattformen verbunden ist, mündet daher nicht in der Abschaffung des Kapitalismus, sondern in der Verlagerung seines Machtzentrums. Die Share Economy ist daher mit einer deutlichen Konzentration wirtschaftlicher Macht und einem Rückgang regulärer Beschäftigung verbunden.

Hinter dem Ideal des offenen Zugangs zu künstlerischen Erzeugnissen (Open access) stehen knallharte wirtschaftliche Bestrebungen, die bestehende Märkte und Unternehmen zerstören, um weniger wettbewerbsintensive Märkte und noch mächtigere Monopolunternehmen zu schaffen. Statt von einer demokratischen Bewegung für mehr Gleichheit wird die Share Economy dominiert von den Interessen einer kleinen Anzahl von Technologiekonzernen, die ihre expansiven Geschäftsmodelle nur deshalb so radikal durchsetzen können, weil sie sich auf einen riesigen Berg von Risikokapital stützen können.

Nehmen wir das Beispiel der Transportvermittlungsplattform Uber, in die allein Google laut FAZ (22.12.2013) im Jahr 2013 258 Millionen Euro investiert hat. Der Erfolg des Unternehmens hat, so Experten, „viel damit zu tun, dass es die Ausgaben für Versicherung, Umsatzsteuer, Inspektionen der Fahrzeuge und Barrierefreiheit vermeidet. Uber kann den Kunden einen billigen, effizienten Dienst anbieten, weil es dank des vielen Geldes, das es bekommen hat, beim Kampf um Wachstum auch Verluste in Kauf nehmen kann“.

Versucht das Unternehmen in einer neuen Stadt Fuß zu fassen, unterbreitet es Fahrern und Kunden zunächst Sonderkonditionen, um das Geschäft anzuschieben. „Sobald sich Uber etabliert hat, beansprucht es einen größeren Anteil an jedem Dollar und kürzt oft die Fahrpreise. Im Lauf der Zeit hat Uber immer mehr vom Fahrpreis einbehalten.“ Die Fahrer sind keine Angestellten. Schon bei wenigen schlechten Bewertungen durch die Fahrgäste drohen sie, ihre Existenzgrundlage zu verlieren.