Wer erinnert sich noch an die LAN-Partys in den Neunzigern? Subversives Zeug! Dass die Jugend, statt zu studieren, ihre Nächte mit Mario Kart, FIFA, Counter Strike und Thief verbrachten, durfte man den Eltern nicht erzählen – schon weil sie es nicht verstanden hätten. Und dass man beim Spielen Club-Mate trank, laut Chemical Brothers hörte und sich tödlich cool fühlte, konnte man selbst an der Uni nicht weitererzählen. Sicherlich konnte man mit diesen Anekdoten niemanden aufreißen, in Discos, auf Tanzflächen. Spieler waren eine kleine, etwas seltsame Gruppe.

Kultur – aus dem Lateinischen cultura „Bearbeitung, Pflege, Ackerbau“ – bezeichnet im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur. Kulturleistungen sind alle formenden Umgestaltungen eines gegebenen Materials, wie in der Technik oder der bildenden Kunst, aber auch geistige Gebilde wie Religion, Recht, Moral, Sprachen, Wirtschaft und die Wissenschaften (so jedenfalls Wikipedia).

Was in aller Welt hat also irgendwelche Zombies abschießen, mit dem Auto vor der Polizei flüchten, mit Klötzchen Türme bauen oder Fünf gewinnt mit Kultur zu tun? Das hat maximal Unterhaltungswert. Worin liegt das Gestaltende, der höhere Wert, der die Menschheit in geistigen Dingen ein Stück voranbringt? Man mag zweifeln.

Aber die Katze ist aus dem Sack: Computerspiele sind ganz offiziell Kultur.

Literatur, Musik, darstellende Kunst, Tanz, Film, Architektur: Was das Label „Kultur“ trägt, ist quasi mit höheren Weihen geschmückt. Die Spielebranche ist bereits seit Sommer 2008 im Deutschen Kulturrat vertreten – als Branche, die Kreative aus allen denkbaren Bereichen beschäftigt. Mal ehrlich: es gibt den Begriff der Medienkultur, er wird vor allem auf die modernen Massenmedien wie Fernsehen, Hörfunk und Film, aber auch Printmedien und das Internet angewandt. Wo ist die Grenze zwischen jenen Apparaten, Bildschirmen, ja dem Papier der Zeitung und den Spielekonsolen? Es ist weniger die Technik an sich oder der Informationsträger wie das Zeitungspapier. Es ist die Wechselbeziehung zwischen Medium und dem Inhalt. In der aktuellen Kommunikations- und Medienforschung rückt zunehmend die Mediatisierung von Kultur ins Zentrum der wissenschaftlichen Diskussion. Es geht darum zu erfassen, wie die Kultur mit Medien durchdrungen und dabei durch diese geprägt wird. Hierbei wird von einem Wechselverhältnis des Kulturwandels einerseits und des Medien- und Kommunikationswandels andererseits ausgegangen. Dieser Ansatz hat etwas. Bei der Entwicklung von Computergames sind Künstler unterschiedlichster Sparten wie Designer, Drehbuchautoren bis hin zu Komponisten beschäftigt. Der Games-Markt ist in Deutschland heute mindestens so bedeutend wie andere Zweige der Unterhaltungsbranche, etwa die Film- oder Musikindustrie. Mit dem Unterschied, dass er ein höheres Wachstumspotenzial hat. Es ist schwer zu erklären. Nicht die Masse allein begründet den Anspruch auf das Prädikat „Kulturgut“, sondern gerade die Verkaufszahlen zeigen, dass die Art der Kommunikation in unserer Gesellschaft sich verändert hat. Vielleicht ist auch eine neue Art hinzugekommen. Spiele sind von alters her unstreitig eine Art der menschlichen Kommunikation. Nun gibt es neue und hierzu auch neue Medien. Aus dem Spielbrett wurde die Konsole. Kultur heißt nicht immer hochvergeistigt, Kultur heißt in weitestem Sinne, was üblich ist. Wie geht der Mensch miteinander um? Und dass Spiele in den letzten Jahren einen immer größeren Teil der Freizeit in Anspruch genommen haben, ist auch offensichtlich. Was ist also kulturell wertvoll? Das Warten auf das kulturell wertvolle Spiel ist eine lange Geschichte der Enttäuschungen. Dabei ist „kulturell wertvoll“ gar nicht so verschnarcht staatstragend zu sehen, wie es von den Institutionen und Fördergremien gebraucht wird. Wir suchen doch einfach nur Spiele, die den Intellekt nicht beleidigen. Mit anderen Worten: Kultur kann auch sein, was den Horizont nicht unbedingt erweitert, aber zumindest nicht dümmer macht! Und ich denke, auf diesem Niveau kann sich der kulturelle Mensch treffen!

© Thomas Dietsch