Der Ortsname „Salem“ erscheint an einigen Stellen im Alten Testament der Bibel als Sitz des Königs Melchisedek. Gewöhnlich wird er als Name der Stadt Jerusalem interpretiert.

In der Folgezeit ist diese Stadt Namenspatronin für viele Orte. Drunter befinden sich Länder wie Schweden, Spanien, Indien und vier mal Deutschland. X mal findet sich dieser Ort in den USA.

Traurige Berühmtheit hat Salem in Massachusetts, in der Nähe von Boston, erlangt.

Wir schreiben das Jahr 1691. Zwei Jahre zuvor war der Erweckungsprediger Samuel Parris zum ersten unabhängigen Leiter der streng puritanischen Gemeinde von Salem ernannt worden. Der Schwerpunkt seiner Predigten lag auf dem Kampf zwischen Gottes auserwähltem Volk und dem Satan. Im Winter 1691/1692 begannen Elizabeth (Betty) Parris und Abigail Williams – Tochter beziehungsweise Nichte des Predigers – sich auffällig zu verhalten, auf dem Boden zu kriechen und seltsam zu sprechen. Keiner der bestellten Ärzte konnte das Leiden der Mädchen medizinisch erklären. Der Arzt William Griggs vermutete nach eingehender Untersuchung und dem Ausschluss aller damals bekannten psychischen Störungen, dass die Jugendlichen vom Teufel besessen seien. Die Mädchen schienen von der unsichtbaren Hand des Teufels verrenkt zu werden. Abigail und Elisabeth bestätigten dies, indem sie schilderten, dass unsichtbare Hände sie quälten. Parris griff diese Erklärung auf und meinte, dass die Stadt von Satan besetzt worden sei. Ein Heer von kleinen Teufeln stehe bereit, in die neue Siedlung einzudringen. Als Handlanger des Teufels betrachtete man dazumal nicht nur in Europa, sondern auch in den damaligen amerikanischen Kolonien die Hexen. Ein Mittel, den Angriff Satans abzuwehren war, die Hexen zu identifizieren und zu benennen. Neben den beiden Mädchen Betty und Abigail wurden diverse andere Frauen bedrängt, darunter Ann Putnam, Mercy Lewis und Susannah Sheldon, Namen von Personen zu nennen, die die Mädchen verhext haben sollen. Hauptbeschuldigte waren die häufig Selbstgespräche führende Sarah Good, eine Bettlerin, Sarah Osborne, eine bettlägerige alte Dame, die die Kinder ihres ersten Ehemanns um ihr Erbe gebracht haben soll und Tituba, eine Indianer-Sklavin, die im Haus des Predigers Parris wohnte.

Alle drei landeten am 1. März 1692 im Gefängnis. Wärter bedrängten sie, weitere Namen zu nennen. Mehr als 200 Menschen, auch aus umliegenden Gemeinden, wurden beschuldigt, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Bald saßen bis zu 150 Gefangene in den Zellen, einige starben unter den grausamen Haftbedingungen. Sogar die vierjährige Tochter von Sarah Good wurde verhaftet.

Vor einem Sondergericht verlief der Prozess von Anklage bis Urteil völlig willkürlich. Damals gab es noch keine funktionierende Verwaltung. Viele Gefangene wurden gefoltert, um Geständnisse zu erpressen. In der hysterisch aufgeheizten Stimmung verurteilte das Gericht viele angebliche Hexen zum Tode. Als Erste starb am 10. Juni 1692 Bridget Bishop. Nur wer sich schuldig bekannte und weitere Namen nannte, entkam dem Galgen. Im Laufe des Sommers 1692 wurden 19 Menschen gehängt, unter anderem ein Prediger sowie fünf weitere Männer. Die anderen 13 waren ältere, arme Frauen.

Aber woher kam die Massenhysterie? Darüber sind sich die Wissenschaftler nicht einig. Einigen Theorien zufolge kamen die Wahnvorstellungen der Mädchen von einer Vergiftung: Sie hatten wahrscheinlich verseuchtes Getreide gegessen. Aber warum machten die Dorfbewohner so bereitwillig bei der Verfolgung Unschuldiger mit? Es gab Konflikte zwischen verschiedenen Familien in Salem. Die Hälfte der Bevölkerung war Anhänger des Predigers Parris, der eine eigene Gemeinde gründen wollte. Die andere Hälfte lehnte das ab. Menschen, die vor den Indianern geflohen waren, erzählten grausige Geschichten. Die ständige Bedrohung durch Indianerangriffe schuf ein Klima der Angst.

Dieses Klima der Angst … Das erinnert mich ein wenig an die Zeit, in der wir heute leben. Es gibt keine Hexenverfolgungen mehr, keine feindlichen Indianer. Aber es gibt die Angst! Jene vor Veränderung! Der Mensch hätte gerne, dass alles so bliebe, wie er es gewohnt ist, wie er es schätzt. Aber das geht nicht; wäre es immer so gewesen, liefen wir heute noch im Lendenschurz herum. Und so rotten sich Menschen zusammen, aus der Anonymität der Masse heraus lässt es sich gut schreien. Es wird nach „einfachen“ Lösungen gesucht, der Mensch ist grundsätzlich denkfaul. Es darf nicht kompliziert werden. Und Schuldige hat man bald gefunden: Damals waren es Indianer und Frauen, die nicht ins Gesellschaftsbild passten. Heute ist es der Ausländer und der Flüchtling. Angeblich nehmen sie uns etwas weg. Was, weiß eigentlich niemand. Kann auch keiner wissen, weil es nicht so ist. Im Gegenteil: sie bringen neue Aspekte in unsere Gesellschaft, die dadurch profitieren kann. Wir bekommen also etwas dazu, wenn wir es den annähmen.

Hoffen wir, dass diese Chance der Weiterentwicklung nicht in Hass und Gewalt untergeht!

© Thomas Dietsch