Ghettos gibt’s bei uns nicht … ?! In den Vereinigten Staaten gibt es Stadtviertel, wo sich keine Polizeistreife mehr hintraut. Gibt´s bei uns auch nicht?! Die Antwort ist doch! Ein kritischer Blick auf diese beiden Phänomene.

Residentielle Segregation ist nicht nur ein Phänomen, das sich durch die Menschheitsgeschichte zieht, sondern ist auch auf dem gesamten Globus wiederzufinden; mindestens da, wo Menschen in Metropolen zusammenleben. In ihren gravierendsten Ausprägungen, insbesondere in Entwicklungsländern, sprechen wir von „Slums“ und „Favelas“. Bei Industriestaaten wie Frankreich oder den USA, wo das Problem zwar nicht derart dramatische, aber dennoch allzu schwerwiegende Dimensionen annimmt, ist von „Banlieues“ beziehungsweise von „Ghettos“ die Rede. In Wohlfahrtsstaaten wie Deutschland wiederum sprechen wir von „Problemvierteln“ oder „sozialen Brennpunkten“, da hier in den allermeisten Fällen nicht Stadtteile als Ganzes betroffen sind, sondern eher einzelne Viertel, in denen aber trotzdem allem noch zumindest von einer funktionierenden Infrastruktur ausgegangen werden kann.

Verhältnismäßig neu ist der Begriff der „No-Go-Area“. Wie sich darin schon andeutet, impliziert dieser ein städtisches Gebiet, in das Menschen, die in diesem nicht leben, keinen Fuß setzen können, ohne dass dadurch ihre körperliche Unversehrtheit bedroht würde. In einer etwas weiter gehenden Interpretation impliziert er außerdem einen rechtsfreien Raum, also ein Gebiet, in dem sich auch die Polizei und staatliche Behörden nicht mehr durchzusetzen vermögen beziehungsweise in das sie sich nicht mehr hinwagen.

Spätestens hier wird der Diskurs politisch; hinsichtlich der Frage, ab wann dies wo der Fall ist, scheiden sich die Geister: So halten die einen eine solche Darstellung mit Blick auf deutsche soziale Brennpunkte wie etwa Duisburg-Marxloh für heillos überzogen, während andere in diesen bereits amerikanische oder französische Zustände vermuten oder zumindest davor warnen, dass diese dort bald erreicht sein könnten. In der Folge unterstellt man sich gegenseitig entweder Panikmache oder Verharmlosung und wirft sich vor, man würde aus sozialen Problemlagen politisches Kapital schlagen wollen oder eben aus ideologischen Gründen problematische Entwicklungen ignorieren und totschweigen.

Doch wie sieht die Lage in deutschen Großstädten wirklich aus? Gibt es im Deutschland des Jahres 2017 „No-Go-Areas“ – oder ist dies heillos übertrieben? Zunächst muss man fragen, wer es denn eigentlich ist, der ein Viertel, wie der fragliche Begriff impliziert, nicht mehr betreten kann, ohne seine körperliche Unversehrtheit zu riskieren: Sprechen wir über die Polizei – oder über bestimmte gesellschaftliche Gruppen?

Geht man diesen Fragen nach, so wird man feststellen, dass von wirklich dauerhaften „rechtsfreien Räumen“ innerhalb Deutschlands schwerlich die Rede sein kann. Was man aber dagegen ausmachen kann, sind Gebiete, in die die Polizei sich nur in deutlich erhöhter personeller Stärke hineinbegibt – einerseits, um ein Signal zu setzen, und andererseits, um Risiken für Beamte zu vermeiden. In dieser Dimension hat man es also weniger mit „No-Go-Areas“ zu tun, sondern mit riskanterem Terrain.

Noch einmal anders sieht die Lage allerdings aus, wenn man sich dem Begriff nicht in einem polizeilichen Sinne nähert, sondern eher vom Blickwinkel des Normalbürgers aus, und hierbei speziell jenem von Deutschen ohne Migrationshintergrund. Hier lässt sich feststellen, dass es in manchen deutschen Großstädten durchaus Viertel gibt, in denen es für Deutsche ohne erkennbaren Migrationshintergrund ein klares Risiko in sich bergen kann, beispielsweise öffentliche Treffpunkte von Jugendlichen, Heranwachsenden und jungen Erwachsenen in mehrheitlich von Migranten bewohnten Problemvierteln aufzusuchen. Die Betreffenden würden als unwillkommene „Eindringlinge“ auf einem ihnen nicht zustehenden Territorium wahrgenommen werden, deren Präsenz man entgegentreten muss. Gleiches kann dort übrigens auch Angehörigen von Migrantengruppen drohen, die nicht „den richtigen“ ethnischen Hintergrund haben – also nicht jenen, der im betreffenden Viertel oder auch einfach nur am betreffenden Treffpunkt dominiert. Es ist in diesem Punkt also durchaus nicht überzogen, für bestimmte Personengruppen von „No-Go-Areas“ zu sprechen.

In der öffentlichen Debatte über Ghettoisierung und Herausbildung sozialer Brennpunkte in Europa dominieren zwei spezifische Zurechnungen: Auf konservativer Seite die Zurechnung auf ethnische oder auch religiöse Hintergründe von Integrationsverweigerung; auf linker Seite die Zurechnung auf ökonomische Ursachen. Wer denkt, ein bloßes Reinpulvern finanzieller Leistungen löse das Problem, liegt allerdings falsch. Mit unter anderem Luxusrenovierungen von Häusern ist niemanden in diesen Vierteln gedient, eher der sogenannten „herrschenden Klasse“. Das wäre eine Verdrängung des Problems, nicht dessen Lösung.

Man muss das Problem bei der Wurzel packen! Weder kann man die Kommunen damit allein lassen, noch wird es ausreichen, darauf mit Einzelmaßnahmen oder, wie in den USA, mit reiner Restriktion zu reagieren. Vielmehr wird deutlich, dass Deutschland und andere europäische Staaten vor einer Herausforderung stehen, die sich nur lösen lässt, wenn man sich der gesamtgesellschaftlichen sozialpolitischen Erfordernisse bewusst wird. Ob dieses Bewusstsein schon vorhanden ist, steht anzuzweifeln.