Zeit zum Nachdenken über Demokratie. Sind wir mit unserer Regierungsform noch up to date? Wie steht es mit Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit? Ist das Schiff „auf Grund gelaufen?“.
Die heutige Demokratie versteht sich als die beste aller Staatsformen und sieht sich in der Tradition der alten Griechen. Die übergaben bereits vor 2.500 Jahren dem Volk die Macht. Doch prominente Zeitgenossen übten bereits daran heftige Kritik.
Platon und Aristoteles betrachteten die Demokratie äußerst skeptisch. Einer ihrer Vorwürfe war, dass die Masse des Volkes Gesetze erlässt, ohne vorab nachzudenken.
Zudem hatten Demagogen oft leichtes Spiel.
Die als Demokratie bezeichnete Volksherrschaft hat sich in allen modernen Industriestaaten etabliert und den Völkern der Welt scheint sie die bestmögliche Form der Staatsorganisation zu sein. Teilweise wird die Verbreitung der Demokratie (spreading democracy) sogar als Rechtfertigung für Kriegshandlungen verwendet. Statistisch soll sie die weitverbreitetste Regierungsform sein.
Worüber wir hier reden ist die athenische Demokratie.
Kurz vor 500 v. Chr. in Athen entstanden, löste die Demokratie die Tyrannis ab, die unrechtmäßige Herrschaft einer einzigen Familie, die sich Jahrzehnte zuvor über die anderen Aristokraten erhoben hatte. In der athenischen Demokratie waren alle erwachsenen männlichen Vollbürger stimmberechtigt und konnten somit über die meisten staatlichen Belange mitentscheiden.
Trotz aller Vorzüge gab es bereits damals prominente Gegner der Demokratie.
Viele bedeutende politische Köpfe der Antike, darunter auch viele Athener, sahen die eigene Demokratie nicht als ideal an. Thukydides, der die kriegerischen Auswüchse seines eigenen Staates im Peloponnesischen Krieg selbst miterlebte, wie auch – bereits erwähnt – Platon und sein ebenso berühmter Schüler Aristoteles, missbilligten die Demokratie als Herrschaft der Unterschicht.
Während Thukydides seine Wertung nur in einzelnen Passagen seines Geschichtswerkes kenntlich machte, verfassten die beiden Philosophen ganze Abhandlungen, die sich speziell mit den unterschiedlichen Staatsformen beschäftigten, die Politik bzw. Politeia. Zu letzteren:
In der Demokratie, so Platon und Aristoteles, würden nur die wenigen Vollbürger selbst profitieren und der Rest der Bevölkerung unterdrückt werden, der zusammen einen viel größeren Teil des Volkes ausmache: Frauen, Kinder und zugezogene Personen. Da zudem die Ärmeren und Faulen in der Mehrzahl wären, würden die Wohlhabenden und die Tüchtigen überstimmt und ihrer Potenziale beraubt.
Die Masse des Volkes könne nach Gutdünken Gesetze erlassen, müsse sich niemandem beugen und höre auf keine Stimme der Vernunft. Eine solche Regierung führe in die Anarchie und später in Gewaltherrschaft, prophezeite Platon. Den politischen Denkern Athens schwebte eher eine Mischverfassung vor, in der das Volk Mitspracherecht haben sollte, doch die eigentliche Staatsführung bei der Oberschicht liegen müsste, die eine weit- und umsichtigere Politik für alle Bewohner umsetzen könnte.
Die Vorwürfe gegen die Demokratie waren nicht unbegründet, denn mehrfach ließ sich das Volk Athens, aufgeputscht durch Demagogen, zu spontanen Entscheidungen verleiten, die sie hinterher bereuten. Als eine verbündete Stadt auf der Insel Lesbos das Seebündnis mit Athen verlassen wollte, beschloss das Volk, alle männlichen Bürger der Stadt hinzurichten, um ein Exempel zu statuieren.
Das ist nur ein Beispiel von vielen.
Einige Probleme sind noch immer akut. Im heutigen System einer repräsentativen Demokratie sind einige der Schwächen behoben worden. So kommt es nicht mehr zu kurzfristigen, unüberlegten Entscheidungen, da die Gesetzesentwürfe lange Zeit besprochen und durchleuchtet werden. Andere Probleme bestehen jedoch noch immer.
Auch wenn heute der Anteil der Wahlberechtigten deutlich höher ist als in antiker Zeit, sind die politischen Prioritäten vieler Bürger noch immer überaus selbstbezogen und kurzsichtig, wodurch drohende, jedoch noch nicht akute Probleme, häufig aufgeschoben werden, bis sie kaum mehr lösbar scheinen. Doch diesem allzu menschlichen Problem lässt sich nicht durch Reformen des demokratischen Prozesses beikommen, sondern allein durch Verbesserung und Entideologisierung des öffentlichen politischen Diskurses.