Intellektuelle, freie Denker! Wie frei sind wir eigentlich?! Schon mal überlegt? Wir hängen doch mittendrin in dem ganzen Schlamassel: Ein(e) jede(r) ist Bestandteil dieser Gesellschaft. Du bist Individuum? Aha! Seit wann? Und vor allem: wirklich? Schon mal überlegt, dass dieses Eingewobensein in das Netz der Gesellschaft uns – jedenfalls zu einem erheblichen Teil – in unserem Denken unfrei macht?! Man kann geistig über die Natur des „Gesellschaftstieres“ nicht hinaus. Nicht im Denken. Gesellschaft prägt und vollkommen frei geht anders …
„Wer denkt, … ist nicht wütend“, sagte dazumal Theodor Adorno. Er war unter anderem ein Philosoph der sogenannten „Frankfurter Schule“. Wie bei den meisten Theoretikern dieser Schule steht das Denken Adornos unter dem Einfluss von Marx, Freud und Hegel. Deren Theorien übten auf viele linke Intellektuelle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine große Faszination aus. Mit kritischem Unterton sprach Lorenz Jäger einmal von Adornos „Achillesferse“, will heißen, dessen „fast unbegrenztem Vertrauen auf fertige Lehren, auf den Marxismus, die Psychoanalyse, die Lehren der Zweiten Wiener Schule“. Wut ist gut! Skeptiker mögen einwenden: Was ist mit der Kritik der politischen Ökonomie? Schließlich ist das Gefühl tückisch, es kann sich an alles Mögliche heften und ist ein unzuverlässiger Begleiter auf dem Weg zur Befreiung. Brauchen wir nicht noch immer die alte Ideologiekritik? Nur nicht zu viel davon, entgegnen Populisten, bloß keine langweilige Debatten! Die linkspopulistischen Intellektuellen wollen, dass man das Denken ihnen überlässt. Sie, die neoleninistische Avantgarde, bildet den Kopf; das Volk, die Herde, ist bloß eine formbare, affektgetriebene Masse.
Gegen derlei Bevormundung ist an der alten marxistischen Parole festzuhalten, dass die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein könne – dazu gehört aber auch, dass sich die Arbeiter von sich selbst befreien, dass sie sich als Klasse aufheben müssen. Denn auch sie sind heillos verstrickt in den kapitalistischen Gesamtzusammenhang, weil sie fleißig mittun und die Hoffnung aufs ganz Andere kaum haben. Das hieße, von einer Affektpolitik abzurücken und die „Anstrengung des Begriffs“ (Georg Wilhelm Friedrich Hegel) nicht zu scheuen. Aber so nah, dass sie ihm diese Fähigkeit zur Einsicht zutrauen würden, sind die intellektuellen Populisten dem Volk dann doch nicht. So lassen sie es weitermachen und unterbreiten ihm, um es von der rechten Konkurrenz wegzulocken, lieber ein paar paternalistische Angebote. So muss sich niemand ändern, alles bleibt beim Alten; Linkspopulismus ist immer dann in, wenn´s anderweitig gerade mal wieder nicht so richtig gefruchtet hat.
Schaufensterbummel! Da gucken wir und können uns für das Produkt Emanzipation oder Barbarei entscheiden. Und nur weil die Barbarei geschicktere Werbung platziert hat, entscheiden sich leere Subjekthüllen für sie. Den Massen wird nicht einmal zugetraut, eine rassistische Partei zu wählen, weil sie selbst rassistisch denken; sie sind fehlgeleitete Schafe, die den richtigen Hirten noch nicht gefunden haben. Das erniedrigt sie erstens zu äußerst stumpfen, blinden Wesen und spricht sie zweitens vorschnell frei von Verantwortung. Das war nach 1945 und 1989 nicht anders!
Grölende rechte Horden hassen jeden Gedanken an Emanzipation, sie wollen keinen Klassenkampf, keine Assoziation freier, gleicher Individuen, sondern sie wollen rassistisch sein und sind bereit, dafür Kompromisse zu machen.
Ins linkspopulistische Horn stößt der marxistische Philosoph Slavoj Žižek, der zwei Krisenreaktionen in Europa beobachtete: eine emanzipatorische Antwort der Linken und eine autoritäre, faschistoide, die der Front National (aber auch der islamistische Terrorismus) gibt. Es komme nun darauf an, den Rechten das Wasser abzugraben, indem die Linke den Frust für ihre Zwecke einspannt.
Dahinter steckt eine Einsicht Walter Benjamins aus den 1930er Jahren, dass jeder Faschismus die Reaktion auf eine vertane Chance zur Revolution ist – weil die Linke einst versagte, kommen nun die Rechten zum Zuge. Beiden liegt ein und dasselbe diffuse Unbehagen an der Gegenwart zugrunde, das sie in ihr Parteiprogramm gießen und damit um die Gunst der Unzufriedenen buhlen.
Es geht noch weiter bei Benjamin: Der faschistischen „Ästhetisierung der Politik“ müsse von emanzipatorischer Seite mit der „Politisierung der Kunst“ begegnet werden. Linkspopulisten machen es anders, sie ästhetisieren die Politik und fordern den Rechtspopulismus damit dort heraus, wo er am stärksten ist. Ein Sieg ist da kaum in Sicht.
Zu deutsch: Parteien wie die AfD fordern Deutschlandbezug von Museen und Staatsfernsehen, die intellektuelle Linke ist aufgerufen, schön dagegen anzuschreiben bzw. zu malen.
Der Grat zwischen zweckgebundener Propagandakunst, die doch mit Populismus im Bunde steht, und einem autonomen Kunstwerk, das „interesseloses Wohlgefallen“ (Immanuel Kant) erzeugt, dann aber über sich hinausweist und in die Sphäre des Politischen einbricht, ist schmal.
Was bleibt? Die Erkenntnis, dass wir doch keine freien Denker sind. „Gesellschaftstiere“ …