Tragen wir den klassischen Journalismus demnächst zu Grabe?
Das Unternehmen Aexea ist eines von dreien in Deutschland, das Software für computergenerierte Texte anbietet, in elf Sprachen. Aexeas Slogan lautet: „Let us do the writing for you“. Das klingt, als sei Schreiben nur eine lästige Fingerübung, die man Maschinen überlassen kann.
Wenn es um Maschinen als Arbeitskraft geht, ist der Mensch zunächst misstrauisch. Als Antwort auf die Industrialisierung drehte Charlie Chaplin 1936 den Film Moderne Zeiten. Darin lässt er sich an eine Maschine anschließen, die ihn, um Zeit zu sparen, während der Arbeit mit Essen füttert. Am Ende dreht die Maschine durch, und Chaplin wird vom Räderwerk verschluckt. Skepsis gibt es auch heute: Artikel, die in letzter Zeit zum Thema computergenerierte Texte erschienen sind, tragen Überschriften wie „Nehmen Roboter allen Journalisten den Job weg?“ oder „Dieser Text ist selbst gemacht“. Das klingt nach Angst und Trotz.
Die Grundthese lautet: Menschen, die arbeiten, machen Fehler. Automatisierung steigert die Qualität! Ein Beispiel aus dem Wetterbericht einer Regionalzeitung. „In der Nacht scheint nur selten die Sonne.“ Einer Maschine wäre das wohl nicht passiert, die Fehlerquote heutiger Software soll unter 0,1 Prozent liegen.
Wenn von Textautomatisierung die Rede ist, fällt oft das Wort Roboterjournalismus. Das ist falsch, da keine Roboter herumsitzen und tippen. Doch der Mensch braucht dieses Bild, weil er nicht begreifen kann, dass man nicht mehr Verstand und Hände benötigt, um etwas aufzuschreiben.
„Dieser Text wurde durch einen Algorithmus verfasst“, stand am 17. März 2014 unter einer Meldung auf der Webseite der LA Times. Am frühen Morgen hatte die Erde unter Los Angeles gebebt, die Nachricht darüber war wenige Minuten später zu lesen – geschrieben von einer Software. Quakebot heißt der Algorithmus, ein Digital-Redakteur der Zeitung hat ihn programmiert.
Auch andere Medien nutzen Algorithmen, um Texte zu generieren. Die amerikanische Nachrichtenagentur AP zum Beispiel, auch forbes.com oder die Berliner Morgenpost bei der Meldung über aktuelle Feinstaubwerte in der Hauptstadt.
Der Grund für das Robottexting ist ein wirtschaftlicher. Wenn die Konkurrenten Texte billiger anbieten, bleiben – wie in der Industrie – nur Fließband-Produktion und Automatisierung.
Umfangreiche Datensätze liegen beispielsweise zum Sport vor, vor allem zum Fußball, weil der Deutsche Fußballbund die Vereine verpflichtet, bis spätestens 60 Minuten nach einem Spiel Zahlen zu übermitteln: zu Zuschauern, Spielern, Toren und Torminuten, Roten und Gelben Karten. Damit der Computer aus diesen Zahlen einen Text formulieren kann, muss er sie lesen können – er muss Regeln lernen. Diese Regeln bringt ihm der Mensch bei.
Der Computer lernt zum Beispiel, dass ein 1 : 0 im Fußball ein normales Ergebnis ist, ein 8 : 0 dagegen ein außergewöhnliches. Dass man bei einem 1 : 0 von „besiegen“ sprechen kann, bei einem 8 : 0 von „vernichten“. Der Computer kann auch Wetterberichte mit einem Ergebnis kombinieren, Regen und ein 8 : 0 zum Beispiel ergeben, dass das Spiel eine „Regenschlacht“ war. Die Software kann sogar selbst lernen.
Große Datensätze gibt es auch zu Finanzen, Wetter und Tourismus. Bei Reiseberichten beispielsweise – jene inklusive Empfehlung für Restaurants und Spezialitäten aus der lokalen Küche vor Ort – lieferte der Computer anfangs 1.500 Texte in einer Nacht, wenig später schon mehr als 7.000, inzwischen sind es bis zu 90 Millionen pro Tag – Nachrichten zu Wetter, Sport und über Prominente zum Beispiel oder Texte für E-Commerce-Anbieter. Einen handgeschriebenen Text kann man heute nicht mehr von einem computergenerierten unterscheiden.
Laut einer Studie der Ludwig-Maximilians-Universität in München wurden knapp tausend Probanden Nachrichten aus den Bereichen Sport und Finanzen vorgelegt, die entweder Computer oder Menschen geschrieben hatten. Das Ergebnis: Die Leser machten kaum einen Unterschied aus. Höchstens: Computergenerierte Texte wurden als sachlicher und glaubwürdiger empfunden, Texte von Journalistenhand hingegen seien angenehmer zu lesen.
Was Journalismus unserer Zeit ausmacht, wie er (wieder) mehr Geld verdienen kann und ob er überhaupt überlebt, sind für die Branche existenzielle Fragen. In Onlineredaktionen sitzen Journalisten, die mit der hohen Nachrichten-Schlagzahl mithalten müssen, weil News alles sind. Ob sie gute oder schlechte Arbeit leisten, bewerten ihre Chefs vor allem anhand der Klicks. Man wird an Charlie Chaplins Moderne Zeiten erinnert.
Man kann aber auch einen Schritt weiter gehen und überlegen, wie Algorithmen die Arbeit des Menschen in Zukunft erleichtern und sie besser machen können – auch im Journalismus.