Die Tage hatte der Bundesgerichtshof (BGH) über einen Fall zu verhandeln, der für erregte Diskussionen und eine Gesetzesverschärfung gesorgt hatte. Das bundesweit erste Mordurteil gegen Raser steht auf dem Prüfstand: Der BGH verhandelte den tödlichen Unfall bei einem illegalen Autorennen in Berlin.

Vor zwei Jahren – nachts am 1. Februar 2016 – hatten sich zwei junge Männer auf dem Kurfürstendamm mit ihren Autos ein Rennen geliefert. Sie waren mit bis zu 170 km/h unterwegs, missachteten rote Ampeln, einer rammte dabei einen Geländewagen. Dessen Fahrer hatte keine Chance: Der 69-Jährige starb noch an der Unfallstelle. Das Landgericht Berlin verurteilte am 27.02.2017 beide Raser wegen Mordes. Dagegen legten sie Revision ein (Az.: 4 StR 399/17).

Man schaut gespannt nach Karlsruhe. Erstmals prüfen die höchsten deutschen Strafrichter, ob rücksichtslose Raser bei einem Unfall mit tödlichem Ausgang wegen Mordes belangt werden können.

Bisherige Gerichtsurteile zu solchen Fällen: Bei Raser-Unfällen mit tödlichem Ausgang gab es Urteile wegen fahrlässiger Tötung, die teils zur Bewährung ausgesetzt wurden. Seit Oktober letzten Jahres sieht das Strafgesetzbuch bis zu zehn Jahre Haft für verbotene Autorennen vor. Zudem fordert unter anderem der Deutsche Verkehrsgerichtstag, dass Raser und Drängler künftig höhere Bußgelder und schneller Fahrverbote erhalten.

Das Landgericht Berlin verurteilte die zur Tatzeit 24 und 26 Jahre alten Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Ihnen wurde der Führerschein auf Lebenszeit entzogen.

Das Gericht ging davon aus, dass die beiden mit dem Wettrennen „mittäterschaftlich und mit bedingtem Vorsatz“ handelten. Sie hätten zwar niemanden töten wollen, den Tod anderer aber billigend in Kauf genommen, um zu gewinnen. „Es ging um den Kick und das Ansehen in der Raser-Szene“, hieß es im Urteil. „Schon eine Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht erstrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers rechtfertigt die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes“. „Niedrige Beweggründe“ wollte die Kammer nicht mit letzter Sicherheit bejahen. Mörder seien die beiden aber, weil sie den Autofahrer mit einem „gemeingefährlichen Mittel“ – ihren bei dem Tempo unkontrollierbaren PS-starken Wagen – getötet haben.

Im Rahmen der eingelegten Sprungrevision hat der BGH das Berliner Urteil auf Rechtsfehler abzuklopfen. Dabei geht es um die Feststellung des „bedingten Vorsatzes“ anstelle der „bewussten Fahrlässigkeit“. Kann man jemandem Vorsatz – Juristen nennen es „dolus eventualis“ (Eventualvorsatz) – unterstellen, der ohne Rücksicht auf mögliche Opfer durch die City rast? Das ist sicher grenzwertig. Das Berliner Gericht hat sein Urteil aber gut begründet.

Der Unterschied wird schnell klar: Wer in der Stadt rast mit dem Gedanken „Hoffentlich passiert nichts!“, handelt bewusst fahrlässig. Höchststrafe im Gesetz: fünf Jahre Freiheitsstrafe. Wer rast in der Meinung: „Wenn etwas passiert, sei´s drum!“, hat Eventualvorsatz. Strafdrohung: fünf bis fünfzehn Jahre! Wenn zum Totschlag noch gewisse Merkmale aus § 211 Abs. 2 des Strafgesetzbuches hinzukommen, sprechen wir von „Mord“. Das heißt lebenslange Freiheitsstrafe! Das Merkmal des „gemeingefährliche Mittels“ (rasendes Auto) hat das Berliner Landgericht bejaht.

Es gibt im Strafrecht drei Vorsatzformen: Absicht, sicheres Wissen, billigende Inkaufnahme. Direkt, absichtlich töten, wollten die Täter niemanden. Die zweite Form läge beim Anbringen einer Bombe in einem Passagierflugzeug vor. Der Täter weiß sicher, dass er Menschen tötet. Diese Form liegt hier ebenfalls nicht vor. Es ging ums Rennen, getötet werden sollte niemand. Die dritte Form, der Eventualvorsatz, steht hier zur Diskussion. Reicht diese Vorsatzform für Mord? Die Juristen bejahen dies. Und: Wer die einschlägigen Partien zum Eventualvorsatz im Lehrbuch von Claus Roxin liest, wird keine Stelle finden, mit der er die Ablehnung des bedingten Vorsatzes begründen kann.

Wenn der BGH das Mordurteil bestätigt, könnte dies Auswirkungen nicht nur auf Unfallfahrer von illegalen Wettrennen haben: Dann könnten auch andere Raser-Unfälle mit Toten oder Verletzten als Mord oder versuchter Mord gewertet werden. Ob dies für die Zukunft abschreckende Wirkung hat, ist die große Frage. Eher unwahrscheinlich! Selbst die drohende Todesstrafe hat noch nie Mörder von der Tat abgeschreckt. „Man selbst wird ja nicht erwischt …“. Aber das perfekte Verbrechen gibt es nicht. Deswegen ist die Diskussion um martialische Strafdrohungen im Gesetz in der Regel auch Zeitverschwendung.

Das Urteil des Bundesgerichtshofes wird am 01. März 2018 erwartet.