Ob aus Gründen des Schutzes vor der Pandemie oder aus besonderer Wertschätzung: Zum voraussichtlich letzten Besuch Angela Merkels als deutsche Kanzlerin hat Präsident Wladimir Putin seine Duzfreundin im Großen Kremlpalast empfangen. Im sogenannten Paradesaal, auch Grüner Salon genannt, begrüßte er sie, wie immer, mit einem Rosenstrauß. Im Alexandersaal, der normalerweise wichtigen Empfängen und Sitzungen vorbehalten ist, traten die beiden später vor die Presse. Dem Großfürsten Alexander Newski ist er gewidmet, einem Nationalhelden des 13. Jahrhunderts, den der Staat heute noch für eine historische Figur von aktueller Bedeutung hält.
Von Feindseligkeit war nichts zu spüren, als Merkel und Putin einander begrüßten.
Aber: Vor allem die russische Seite scheut sich nicht, immer wieder Öl ins Feuer zu gießen – mit dreist formulierten Äußerungen aus dem Außenministerium, der Ausweisung eines hochrangigen deutschen Diplomaten, sowie mit dem unbarmherzigen Vorgehen gegen Oppositionspolitiker, Aktivisten und unabhängige Medien (nzz.ch).
Merkel hat mit Präsident Putin über „die bedrückende Situation von Alexej Nawalny“ (SPON) gesprochen. Der Kremlkritiker war auf den Tag genau ein Jahr zuvor in einem Flugzeug in Sibirien zusammengebrochen – ein Giftanschlag mit dem verbotenen Kampfstoff Nowitschok, hinter dem nach aller Wahrscheinlichkeit Agenten des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB stehen. Nawalnys Haft in einer Strafkolonie sei „nicht akzeptabel“ (a.a.O.), so Merkel.
Putin hält Nawalny dagegen für einen gewöhnlichen Kriminellen. Das habe nichts mit dessen politischen Aktivitäten zu tun. Nawalny nannte er „jenen Figuranten“.
Putin machte damit einmal mehr deutlich, dass er Einmischungen und Belehrungen von außen nicht duldet. Auch im Fall von Belarus nicht, wo Machthaber Alexander Lukaschenko Kritiker verfolgen, misshandeln und einsperren lässt.
Bei ihrem zweiten großen Anliegen hätte die Bundeskanzlerin eigentlich mehr Entgegenkommen erwarten dürfen. Es ging um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, über die sich Berlin zuletzt mit Washington gestritten hatte, nicht mit Moskau. Nun kam Merkel mit einer konkreten Aufgabe nach Moskau: Sie sollte dafür sorgen, dass der Kreml trotz neuer Ostsee-Leitung weiterhin Gas durch seine Pipeline in der Ukraine pumpt – und zwar über 2024 hinaus. Im Gegenzug muss die Betreibergesellschaft von Nord Stream 2 keine Sanktionen mehr aus Washington fürchten.
Letztlich, so ließ Putin durchblicken, hänge das von den Gasbestellungen aus Europa ab. Auch hier schenkte er Merkel nichts. Die hatte zuvor erklärt, sie werde sich „bis zu meinem letzten Amtstag“ (sueddeutsche.de) für die territoriale Souveränität der Ukraine einsetzen.
Nicht zuletzt hat die Bundeskanzlerin Russland um Unterstützung bei der Rettung afghanischer Ortskräfte gebeten. Für die Bundesregierung habe im Moment Vorrang, möglichst viele Menschen nach Deutschland zu bringen, die in 20 Jahren NATO-Einsatz geholfen hätten.
In summa: Frau Merkel ist abgeblitzt, und das wohl in allen Punkten.
Das Versagen westlicher Politik in Afghanistan, die Russen machen darüber hinaus, was sie wollen.
Merkels politisches Vermächtnis: Von einer Aufweichung der harten Fronten kann keine Rede sein.