Für die deutsche Regierung, aber auch für den Bundestag, ist das Urteil, welches das Bundesverfassungsgericht (Az.: 2 BvR 859/15 u. a.) am 5. Mai verkündete, eine Ohrfeige: Die Europäische Zentralbank (EZB) habe durch den Kauf von Staatsanleihen zur Stützung des Euro seit 2015 ihre Kompetenzen überschritten und damit gegen das deutsche Grundgesetz verstoßen – und die Regierung sowie das Parlament in Berlin hätten dabei zugeschaut, stellten die Richter unter dem Vorsitz des scheidenden Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle mit sieben zu einer Stimme fest. Die aktuellen Corona-Hilfen der EZB sind nicht Gegenstand der Entscheidung. 

Die Corona-Krise, die viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, trug dazu bei, dass die Medien dem Urteil aus Karlsruhe keine allzu große Aufmerksamkeit schenkten. Die getadelten Politiker konnten kaum ein Interesse daran haben, daran durch irgendwelche Äußerungen etwas zu ändern.

Dass an diesem Tag etwas anders als sonst ist, merkt man schon beim Einzug der Richterinnen und Richter. Nicht wie üblich acht, sondern nur fünf kommen um Punkt zehn Uhr in den Gerichtssaal – Corona-Abstand auch auf der Richterbank (tagesschau.de)

Kern des Streits um die Staatsanleihen ist: Macht die EZB hier mehr, als sie nach den EU-Verträgen rechtlich darf? Übernimmt sie Aufgaben, für die eigentlich die Mitgliedsstaaten oder der Rettungsschirm zuständig sind? Genau an dieser Stelle kommt das Grundgesetz ins Spiel. Laut Verfassung darf Deutschland bestimmte Kompetenzen an die EU übertragen – zum Beispiel die Geldpolitik, will sagen die Aufrechterhaltung stabiler Preise, an die EZB.

Quasi im Gegenzug muss sich die EZB dann auch in dem ihr übertragenen Kompetenzrahmen bewegen und nicht darüber hinausgehen. Denn sonst hätte der deutsche Wähler nicht zugestimmt. Das sind wichtige Fragen gerade bei einer Institution wie der EZB, die unabhängig ist und von keiner Volksvertretung kontrolliert wird.

Der Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht sind sich nicht einig

In welche Kategorie die EZB-Programme zum Ankauf von Staatsanleihen fallen.Ist es erlaubte Geldpolitik oder der EZB verbotene Wirtschaftspolitik? Rechtlich scheiden sich genau daran die Geister der beiden höchsten Gerichte.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sagt, rechtlich sei alles in Ordnung. Ein solches Programm habe zwangsläufig auch gewisse wirtschaftliche Auswirkungen, aber deswegen überschreite die EZB nicht ihr Mandat. Das Bundesverfassungsgericht sagt dagegen, es handele sich um nicht erlaubte Wirtschaftspolitik.

Karlsruhe hat quasi die „Notbremse“ gezogen. Der EuGH sei seiner Kontrollaufgabe gegenüber der EZB nicht nachgekommen, weil er die tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkungen des Programms nicht in seine Entscheidung mit einbezogen hätte. Das sei methodisch nicht mehr vertretbar.

Das Gericht stelle erstmals in seiner Geschichte fest, dass Handlungen und Entscheidungen europäischer Organe offensichtlich nicht von der europäischen Kompetenzordnung gedeckt seien, sagte Präsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung. Sie könnten daher in Deutschland keine Wirksamkeit entfalten (welt.de).

Zwischen März 2015 und Ende 2018 hatte die Notenbank rund 2,6 Billionen Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere gesteckt.

Zuallererst muss die Frage der Verhältnismäßigkeit des Kaufprogramms aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts geklärt werden. Hierzu sollen Bundesregierung und Bundestag auf die EZB einwirken. Die Bundesbank darf künftig nur mitmachen, wenn der EZB-Rat nachvollziehbar darlegt, dass die mit dem Kaufprogramm „angestrebten währungspolitischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den damit verbundenen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen stehen“ (faz.net).

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