Die Vorratsdatenspeicherung verpflichtet Internetprovider, Mobilfunkanbieter und Kommunikationsunternehmen, alle Verbindungsdaten ihrer Kunden 10 Wochen sowie alle Standortdaten 4 Wochen lang zu speichern – ohne Anlass. Strafverfolgungsbehörden können diese bei Bedarf anfordern. Eingeführt wurde die Vorratsdatenspeicherung als Reaktion auf die Terroranschläge in Europa. Eigentlich sollte sie am 1. Juli 2017 in Kraft treten.
Datenschützer sagen jedoch: Die Vorratsdatenspeicherung ermöglicht eine Massenüberwachung und schränkt die Grundrechte ein. Die Speicherung liegt daher derzeit auf Eis.
Eine weitreichende Vorratsdatenspeicherung verstößt nach Ansicht eines wichtigen EU-Gutachtens auch bei der Terrorbekämpfung gegen EU-Recht. Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona vom Europäischen Gerichtshof hält die Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten nur in sehr engem Rahmen für rechtmäßig, wie aus einem am Mittwoch in Luxemburg veröffentlichten Gutachten hervorgeht.
Damit stützt der Generalanwalt ein wichtiges EuGH-Urteil von 2016, wonach die anlasslose Speicherung der Verbindungsdaten nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Seiner Ansicht nach verstoßen die aktuellen Regelungen in Frankreich, Großbritannien und Belgien gegen EU-Recht. Gerichte aus diesen Ländern hatten den EuGH gefragt, ob die fraglichen EU-Regeln auch im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit und im Kampf gegen Terror angewendet werden müssten.
Obwohl die gesetzliche Grundlage der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland besteht, muss sie nicht umgesetzt werden: Das Verwaltungsgericht der vorherigen Instanz vor dem EuGH hatte festgestellt, dass die Pflicht hier gegen Recht der EU verstoße. Dabei beruft es sich auf ein EuGH-Urteil aus 2016 (AZ. C-203/15 und C-698/15). Der Gerichtshof hatte sich nämlich bereits mit dem Thema Vorratsdatenspeicherung auseinandergesetzt, damals aber ging es um die Versionen aus Großbritannien und Schweden.
In bestimmten Fällen könnte laut Campos Sánchez-Bordona jedoch eine weitgehende und allgemeine Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung erlaubt sein. Dies sei im Falle einer unmittelbar bevorstehenden Bedrohung oder einer gefährlichen Ausnahmesituation, die eine offizielle Erklärung des Notstands in einem Land rechtfertige, möglich.
Argumentiert wird, dass ein ausnahmsloses Verbot der Vorratsdatenspeicherung den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten bei Strafverfolgung und öffentlicher Sicherheit erheblich einschränken würde. Gegner hingegen wenden unter anderem ein, dass es sich um eine unverhältnismäßige Maßnahme handele, die weitreichende Eingriffe in Grundrechte bedeute – gerade da die Erhebung und Speicherung vollkommen ohne Anlass erfolge und jeden Einzelnen betreffe, der über das Internet oder Telefon kommuniziert. Auch in die Rechte der klagenden Unternehmen könnte die Speicherpflicht einen Eingriff darstellen, nämlich in Bezug auf die unternehmerische Freiheit.
Um die nationale Sicherheit zu gewährleisten und Kriminalität zu bekämpfen, ist eine begrenzte und differenzierte Speicherung von Daten mit begrenztem Zugang möglich. Nur Daten, die für die wirksame Verhütung und Kontrolle der Kriminalität und für die nationale Sicherheit unerlässlich sind, sollen gespeichert werden dürfen. Zudem soll die Sicherung der Daten nur für einen begrenzten Zeitraum stattfinden. Der Zugang soll erst nach vorheriger Kontrolle – etwa durch ein Gericht – erfolgen.
Das Bundesverfassungsgericht und auch der Europäische Gerichtshof haben die Vorratsdatenspeicherung für unzulässig erklärt. Nun aber versuchen einige Regierungen in der EU, Überwachungsmaßnahmen per EU-Beschuss durchzusetzen (deutschlandfunk.de, 28.12.2019).
Trotz der klaren Urteile versuchten die Mitgliedsländer das zu umgehen. In Deutschland argumentieren Sicherheitspolitiker und Behördenvertreter, dass zunehmende Hasskriminalität und verstärkte rechtsextreme Umtriebe nur durch Speicherung aller Verbindungsdaten der Bürger bekämpft werden könnten.
Der blinde Glaube an die Vorratsdatenspeicherung als Allheilmittel ist aber nicht nur für jeden guten Juristen heikel (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, handelsblatt.de, 09.09.2019).
Er kann auch nicht mit Blick auf die Strafverfolgungspraxis gerechtfertigt werden. So wurde etwa das VDS-Gesetz von 2015 insbesondere mit der Bekämpfung von Terrorismus und schwerster Kriminalität begründet. Der Anschlag vom Berliner Breitscheitplatz Ende 2016 konnte jedoch auch mit der Vorratsdatenspeicherung nicht verhindert werden. Sowohl hier als auch bei der Ermordung des Kassler Regierungspräsidenten Lübcke im Juni 2019 waren die Täter bekannt.