Die Briten reisen weniger. Das Hin und Her um den Brexit hat sie verängstigt. Die Menschen vor Ort sind nicht die einzigen in Gibraltar, die das zu spüren bekommen. Alle Fluglinien melden sinkende Passagierzahlen. Die Leute haben eine Heidenangst. Angst ist vielleicht das falsche Wort. Die Leute sind vorsichtig geworden. Man kann das verstehen: Sagen wir, du arbeitest in einer Firma, deren Kunden in der EU sitzen. Da fragst du dich: Was kommt nach dem Brexit? Verliere ich meinen Job? Es ist menschlich. Diese Ungewissheit macht alle mürbe. Letzten Endes ist man genauso schlau wie vor zwei Jahren.
Gibraltar ist eine Halbinsel im Süden Spaniens, auf der rund 30.000 Menschen leben. Sie gehört seit 1713 zu Großbritannien, wird aber von Madrid bis heute zurückgefordert. Beim britischen Referendum über einen möglichen Austritt aus der EU im Jahr 2016 hatten die Einwohner Gibraltars mit überwältigender Mehrheit von 96 Prozent dafür gestimmt, in der EU zu bleiben. Die Gibraltar-Frage hatte in den folgenden Brexit-Verhandlungen zwischen London und Brüssel immer wieder für Ärger gesorgt. Gibraltar gehört zu Großbritannien, mit dem Brexit scheidet auch die Kolonie aus der Union aus.
Viel zu klagen haben die mehr als 33.000 Bewohner von Gibraltar eigentlich nicht. Mit einem im vorigen Jahr noch einmal um neun Prozent gestiegenen Pro-Kopf-Einkommen von im Durchschnitt umgerechnet 73.500 Euro gehört das kleine britische Überseeterritorium am Südzipfel Spaniens zu den reichsten Gebieten der Erde.
Man zahlt wenig Steuern und hat Strände, die man auch dieser Tage kurz vor Wintereinbruch bei Temperaturen von knapp 20 Grad genießen kann. Das Leben ist schön am Affenfelsen, dem 426 Meter hohen Kalkstein-Monolithen mit der traumhaften Aussicht. Besser gesagt: War schön. Denn der Brexit weckt hier immer mehr Wut, Frust und Zukunftsangst.
Kritik entzündet sich etwa an den Passagen des Entwurfs zum Thema Fischerei. Nach Angaben von EU-Diplomaten fordern mehrere Länder – darunter Frankreich, die Niederlande, Dänemark, Spanien und Portugal – Änderungen am Abkommen. Auch Finnland und Irland sollen sich besorgt geäußert haben. Dabei geht es vor allem um Zugang zu den fischreichen Gewässern Großbritanniens, was bisher für EU-Staaten kein Problem war, solange die geltenden Fangquoten eingehalten wurden.
„Wo ein Wille ist, ist auch ein Deal – wir haben einen“, schrieb EU-Kommissionspräsident Juncker gestern auf Twitter (SPON). Er schlage dem Gipfel der Staats- und Regierungschef nun vor, das Abkommen zu billigen. Die Einigung erfolgte unmittelbar vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel.
Johnson will sein Land zu Halloween, am 31. Oktober, aus der Staatengemeinschaft führen. Wiederholt hatte er Brüssel mit einem ungeregelten Brexit gedroht. Für den Fall hatten Experten chaotische Verhältnisse für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche vorhergesagt.
Durch den Brexit erhofft man sich in Madrid eine Schwächung des britischen Widerstandes, über den Souveränitätsstatus Gibraltars zu reden. Die „Gibraltarians“ wollen derweil nicht im Traum an die Möglichkeit denken, dass sie spanisch werden könnten. Man befürchtet eine schnelle Verarmung und Zustände wie in der andalusischen Nachbargemeinde La Línea, wo die Arbeitslosigkeit bei rund 35 Prozent liegt und der Drogenhandel blüht (tagesspiegel.de, 24.11.2018).
Spanien sollte sich hüten, den britischen Kolonialismus zu laut zu verurteilen – hat es doch mit Ceuta und Mellila ebenfalls zwei Exklaven an der gegenüberliegenden Küste des Mittelmeeres und beharrt auf deren anachronistischer Existenz.
Die Gibraltar-Frage umfasst viele Probleme, die die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU nach dem vollzogenen Austritt bestimmen werden. Es ist eines der wenigen Beispiele für eine Landgrenze zwischen Großbritannien und der EU und ein Ort umfangreicher grenzüberschreitender Mobilität. Täglich pendeln rund 10.000 Spanier nach Gibraltar, um dort zu arbeiten, hauptsächlich aus der spanischen Stadt La Línea de la Concepción.
Gibraltar ist auch ein Beispiel dafür, wie eng Großbritannien mit bestimmten EU-Ländern verflochten ist. Das Vereinigte Königreich ist einer der größten Wirtschaftspartner Spaniens. Gibraltar ist eine Drehscheibe für die Finanz- und Versicherungsbranche, Online-Glücksspiele und Spiele.
Ein Affentheater um den Affenfelsen!