Auf den ersten Blick ist die Entwicklung nicht besonders bedeutend, die Krawatte ist schließlich nur ein modisches Accessoire am Hals des Mannes. Und doch war der Binder in Unternehmen, insbesondere am Finanzplatz Frankfurt, lange Zeit viel mehr: ein Symbol für die Seriosität der Geschäftswelt und der eigenen Person und damit zugleich eine Art Rückversicherung für seinen Träger, der sich mit der Krawatte auch als Teil einer bestimmten, erfolgsorientierten Gruppe auswies. Der Binder changiert mehr noch als der Anzug zwischen Uniformität und Individualität.

Sosehr die Krawatte jahrzehntelang stilbildend war, so sehr steht sie zunehmend für die „Old Economy“ (faz.net), für Konzerne, die Deutschland groß gemacht haben. Doch heute geben Unternehmen aus dem Silicon Valley den Trend vor. Dort geht es nicht mehr um den Nachweis deutscher Gründlichkeit durch einen akkurat sitzenden, sauber gebundenen Schlips, sondern darum, den Eindruck von Geschwindigkeit, Flexibilität und jugendlichem Unternehmertum zu erwecken.

Ganz ausgestorben ist sie freilich nicht. Bei einem Festakt der Bundesbank vergangene Woche (zeit.de) etwa trugen die Herren fast durchweg Schlips. Auch in vielen Kanzleien und Beratungsunternehmen gehört die Krawatte immer noch zum guten Ton. Und, ja, es gibt Männer, die einen ganz banalen Grund haben, eine Krawatte zu tragen: weil es ihnen gefällt.

Über den genauen Ursprung der Krawatte gibt es geteilte Ansichten. Die älteste Erwähnung geht auf die Trajanssäule in Rom und das Jahr 200 n.Chr. zurück. Auf der Säule zu Ehren des römischen Kaiser Trajan posiert ein römischer Legionär der ein schmuckvolles Leinentuch um den Hals trägt (tieroom.de). In der damaligen Zeit diente dieses Leinentuch vermutlich hauptsächlich zum Schutz vor Kälte und zum Schnauben der Nase.

In der modernen Geschichte rechnet man Frankreich den Ursprung der Krawatte zu. Eine französische Erfindung ist der Schlips trotzdem nicht. Weit gefehlt. Kroatische Soldaten haben den Vorgänger der heutigen Krawatte während des 30-jährigen Krieges in Frankreich getragen. Das französische Wort „Cravat“ ist im Französischen von der Nationalitätsbezeichnung für Kroaten (la croate) abgeleitet und bezeichnet ein dekoratives Halstuch der kroatischen Kavallerie im dreißigjährigen Krieg. Das Halstuch wurde in Kriegszeiten getragen um Freund und Feind besser zu unterscheiden. Damals waren Krawatten aus Seide den Offizieren vorbehalten. Einfache Soldaten mussten sich mit Krawatten aus einfacheren Materialien zufrieden geben.

Im 17. Jahrhundert verbreitet sich die Krawatte schließlich von Frankreich aus ins restliche Europa. Sie wird gern von vornehmen Adligen und wohlhabenden Bürgern getragen. Das sogenannte kroatische Ritterhalstuch ist zur Zeit des französischen Barock groß in Mode. Das Ritterhalstuch war ein langes weißes Stofftuch aus Baumwolle oder Leinen welches auf komplizierte Weise geknotet und um den Hals gelegt wurde. Manchmal wurde es dekoriert mit Spitze. War man faul, konnte man das kroatische Ritterhalstuch auch fertig dekoriert und gebunden kaufen. Die Wohlhabendsten trugen in dieser Zeit so genannte Spitzenrüsche als Ausdruck von enormen Reichtum und Status. Beispielsweise kostete die Spitzenrüsche des englischen Königs Karl II. im Jahr 1660 nach heutigen Maßstäben zirka 10 Jahreslöhne eines Besserverdieners der damaligen Zeit.

Die Finanzwelt folgt heute einem Trend, der bei Tech-Firmen im Silicon Valley längst keiner mehr ist. Schon in den Fünfzigerjahren begann dort eine Entwicklung, die vielen heute als „Casual Friday“ bekannt ist. Von Montag bis Donnerstag galt in den Büros ein strenger Dresscode, am Freitag durfte es als Einstimmung ins Wochenende statt Hemd auch mal der Rollkragenpullover sein. Heute ist aus der wöchentlichen Ausnahme längst ein Standard geworden: Kapuzenpulli und Sneaker sind die Uniform der Westküste.

Im Kampf um junge Talente soll der neue Dresscode vielen Unternehmen – darunter viele Start-Ups – helfen, mit der Lässigkeit des Silicon Valley gleichzuziehen.

Kawatten sind out, nur Anwälte oder Banker tragen noch welche – aber müssen die sich bei ihren Kunden anbiedern?!

Die alten Dresscodes gibt’s nicht mehr. Alle erfinden sich neu, geben sich kreativ – und unterstreichen das auch äußerlich. Bloß keine Krawatte! Die schmalen Seidentücher, einst Status-Symbole für Stand und Position, sind fast schon stigmatisierend. Dunkler Anzug und steife Krawatte ist gleich exorbitanter Tagessatz!

„Overdressed ist heute ein Geschäftsrisiko“ klagen Unternehmensberater (glam-o-meter.com 13.05.2018). Die zweite Frage der Leute laute immer: „Wie ist der Dresscode?“.

Eine Revolution ist im Gange. Den Herren „geht es an die Gurgel“ …

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