Premierministerin Theresa May konterte den Vorwurf der Brexit-Hardliner, sie sei bei den Verhandlungen mit der EU eingeknickt, mit dem Argument: Die Personenfreizügigkeit nehme ein Ende. Dass Europäer einfach nach London reisen, eine Wohnung mieten, arbeiten und sich beim nationalen Gesundheitsdienst (NHS) anmelden könnten, sei bald Vergangenheit, sagte sie vergangene Woche vor dem Parlament. Großbritannien werde die Kontrolle über Ausgaben, Landwirtschaft, Fischerei und vor allem die eigenen Grenzen zurückgewinnen.

Der umstrittene Brexit-Vertrag muss die Hürde im Unterhaus noch nehmen, May redet beschwörend auf die Kritiker ein.

Die Ablehnung der ungezügelten Einwanderung aus der EU war ein entscheidendes Element bei der Brexit-Abstimmung vor zwei Jahren. Sie ist es heute weniger – sowohl an den nackten Zahlen gemessen wie nach der Wahrnehmung der Briten. Laut nationaler Statistikbehörde ging die Netto-Einwanderung aus der EU in zwei Jahren von 189.000 im Juni 2016 auf 87.000 zum gleichen Zeitpunkt dieses Jahr zurück, ein Rückgang um mehr als die Hälfte. Netto-Einwanderung setzt sich zusammen aus EU-Einwanderern minus Rückkehrern und britischen Auswanderern in die EU (nzz.ch).

Auffällig ist die Abnahme bei den neuen ostmitteleuropäischen EU-Staaten, die Netto-Einwanderung liegt hier bei etwa null. „Die Zahlen sind abgestürzt!“ (Robert McNeil, Migration Observatory/Oxford).

Seit Monaten gibt es in London Gerüchte, May stehe kurz vor dem Sturz durch die „Brexiteers“, die sich parteiintern in der „European Research Group“ organisiert haben. Zum Schwur kam es bislang noch nicht; doch nun, da die Premierministerin ihren mit der EU ausgehandelten Austritts-Deal vorgelegt hat und in den nächsten Tagen nach Brüssel fliegt, um mit EU-Unterhändler Michel Barnier und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker weiter an der politischen Erklärung über die künftige Zusammenarbeit zu arbeiten, läuft den Meuterern die Zeit davon.

May komme Brüssel viel zu sehr entgegen, die britische Insel werde auf ewig in einer Zollunion an Europa gekettet sein, London müsse endlich andere Saiten gegenüber den „arroganten und erpresserischen Europäern“ (sueddeutsche.de) aufziehen – solche Töne sind seit Langem zu hören. Doch um den Vertrag zu kippen und zu verhindern, dass er, aus Mangel an tragfähigen Alternativen, doch noch in wenigen Wochen das britische Parlament passiert, müssten unter anderen empörte Kabinettsmitglieder, die das Ergebnis nicht mittragen wollen, den Moment jetzt nutzen.

Der Vertragsentwurf sieht unter anderem vor, die Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland vorerst offen zu lassen. Diese Frage war besonders umstritten. Sie soll in einer Übergangsphase bis Ende 2020 endgültig geklärt werden. Zudem solle Großbritannien in der Übergangsphase weiterhin Teil des EU-Binnenmarktes, sowie der Zollunion bleiben, ohne jedoch über Stimmrechte zu verfügen. Theresa Mays Kabinett hat dem Entwurf zugestimmt, nun muss das britische Parlament darüber entscheiden. Auch alle EU-Mitgliedsstaaten und das Europaparlament müssen zustimmen.

Aus Sicht der spanischen Regierung sind die Formulierungen im Brexit-Abkommen zum künftigen Status Gibraltars unklar. Ministerpräsident Pedro Sánchez fordert, dass Spanien und Großbritannien über Gibraltar gesondert verhandeln – das müsse in den Brexit-Dokumenten klar festgeschrieben werden. Sollte das bis zum EU-Gipfel am Sonntag nicht passieren, wird Spanien mit Nein stimmen.

Seit 1713 ist Gibraltar ein Teil von Großbritannien (wikipedia.de), wird von Spanien aber immer wieder beansprucht.

Tausende Südspanier arbeiten in Gibraltar und pendeln jeden Tag über die Grenze. Spanien will, dass das auch in Zukunft unkompliziert möglich ist, wenn Großbritannien nicht mehr zur EU gehört.

Die Brexit-Verhandlungen sind auf der Zielgeraden – wenn es nach den meisten der verbleibenden EU-Staaten geht. Auf dem Ministertreffen am Sonntag lehnte man Änderungen des Vertragsentwurfs ab. Man will jetzt ein Ergebnis.

Nun liegt es an Theresa May, die britische Zustimmung für das Verhandlungsergebnis zu sichern.

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