50 Jahre nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen betreiben nicht nur Kommunisten und Rechtsradikale Geschichtsklitterung. Staatspräsident Zeman will nicht öffentlich gedenken – trotz der zahlreichen Toten und Vertriebenen.
Moskauer Vorwürfe an die Adresse der Ukraine sind in jüngerer Zeit alles andere als selten. Doch dass nun aus dem tschechischen Prag Vorwürfe an Kiew zu hören waren, überrascht doch sehr: Anlässlich des 50. Jahrestags des Prager Frühlings heißt es da, nicht die Russen seien für die Invasion von 1968 verantwortlich, mit der Truppen des Warschauer Paktes am 21. August 1968 den Prager Frühling gewaltsam beendeten. Nein, schuld sei vielmehr die Ukraine – die damals aber, wie das heutige Russland, noch Teil der Sowjetunion war.
So stellt jedenfalls Tschechiens Kommunistenchef Vojtech Filip die jüngere Geschichte seines Landes dar. Die historische Sicht auf 1968 sei „zu 100 Prozent gefälscht“ und stehe „auf den Füßen eines anti-russischen Standpunktes“. Schließlich sei der damalige sowjetische Parteichef Leonid Breschnew ein Ukrainer gewesen, hätten ukrainische Soldaten den Hauptanteil der Invasionstruppen gestellt, habe 1968 im sowjetischen Politbüro ein einziger Russe gesessen – und ausgerechnet der habe gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen gestimmt (The Guardian).
Es gab damals das sogenannte „Manifest der 2000 Worte“, das 68er Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler veröffentlichten – eine Abrechnung mit zwanzig Jahren kommunistischer Herrschaft, die Demokratisierung forderte.
Der Prager Frühling gewährte Reisefreiheit und Meinungsvielfalt, es gab unzensierte Radio- und Fernsehsendungen, es gab eine Amnestie von über tausend politischen Gefangenen, es gab die Hoffnung, vieler Tschechoslowaken, dem Sowjetblock und dem Griff Moskaus entfliehen zu können. Die tschechische KPC verzichtete im April 1968 weitgehend auf ihr Machtmonopol; sie gelobte die Achtung der bürgerlichen Grundfreiheiten – also der Redefreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Meinungsfreiheit, der Freiheit von Wissenschaft, Kunst, Kultur und Medien und erlaubte die Teilprivatisierung der Wirtschaft (onetz.de).
Wie kam es dazu? Nach dem Tod des sowjetischen Diktators Josef Stalin 1953 folgte eine Phase der Entstalinisierung, die totalitäre Kontrolle über die Satellitenstaaten des Ostblocks wurde gelockert. Doch in der Tschechoslowakei verfolgte der 1953 zum Ersten Sekretär der Kommunistische Partei (KSC) und 1957 zum Staatspräsidenten ernannte Antonín Novotny zunächst weiterhin eine repressive Politik mit stalinistischen Zügen.
Zu einem Umdenken zwang ihn die Wirtschaftskrise der frühen 1960er Jahre. Die KSC beschloss eine Wirtschaftsreform. Ziel war der Aufbau einer sozialistische Marktwirtschaft, also einer Verbindung aus Markt- und staatlich geplanter Wirtschaft. Da die Pläne aber nicht konsequent durchgesetzt wurden – zum Beispiel wollte Novotny keine Kredite von westlichen Ländern annehmen – schlugen viele der Reformmaßnahmen fehl. Novotny wurde von Dubcek abgelöst.
Besonders in der jungen Bevölkerung wuchs die Kritik am niedrigen Lebensstandard in der Tschechoslowakei. Außerdem kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der KSC-Führung und slowakischen Nationalisten, die mehr Autonomie forderten.
Im „Warschauer Brief“ vom 15. Juli 1968 forderten fünf Mitglieder des Warschauer Paktes (Sowjetunion, Bulgarien, Ungarn, Polen und DDR) vom damaligen Staatschef Dubcek eine Kursänderung. Tatsächlich hatte sich die Mehrheit der Brief-Unterzeichner bereits für ein Militärmanöver in der Tschechoslowakei ausgesprochen.
Den Marschbefehl erhielten die Truppen am 20. August mit Einbruch der Dunkelheit. Zwischen 22.30 Uhr und 24 Uhr überschritten die Spitzeneinheiten die Grenzen zur CSSR: aus der DDR die Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, aus Polen die 2. Armee der Polnischen Volksarmee und die 38. sowjetische Armee, die auch direkt aus der Ukraine in die Slowakei einmarschierte, unterstützt von bulgarischen Einheiten. Schließlich aus Ungarn eine Division der Ungarischen Volksarmee sowie weitere, in Ungarn stationierte sowjetische Truppen. Zugleich landeten Luftwaffeneinheiten auf den Flughäfen in Prag und Brünn. Bereits gegen 1 Uhr war die Slowakei weitgehend besetzt, um 3 Uhr Nordböhmen. Gegen 5 Uhr erreichten die Truppen Prag, um 8 Uhr hatten sie alle Straßen der Hauptstadt unter Kontrolle. Die NVA jedoch verblieb in ihren Bereitstellungsräumen in Sachsen – auf Weisung aus Moskau.