Sieht man sich die Abgrenzungen gegenüber Flüchtlingen aus dem arabisch-afrikanischen Raum an, stößt man auf naturalisierte Merkmalszuschreibungen, die die Elementarform des modernen Rassismus darstellen: Der Migrant aus dieser und jener Region wird als von Natur aus ganz andersartig imaginiert, was mit beliebigen Merkmalen bebildert wird: Mal ist es die dunklere Hautfarbe, mal sind es religiöse oder kulturelle Besonderheiten, die historisch genauso zufällig sind wie unsere eigenen – damit aber auch wandelbar, wie man spätestens in der zweiten Generation bei vielen Zuwanderern bemerken kann.

Fremdenfeindlichkeit heute beruht auf nationalen Abgrenzungen, auf dem modernen Nationalismus, der derzeit wieder eine völkische Interpretation erfährt: Will heißen: die Fremden, die als Kriegsflüchtlinge bei uns Schutz suchen, sind nicht nur fremd, sondern andersartig, d.h. gehören von Natur aus nicht zu „uns“. Die eigentlichen Fragen nach den wirklichen Integrationsbedingungen wie Wohnraum und Lebensunterhalt sind außen vor, da es völkischen Nationalisten um das Grundsätzliche geht: Die gehören einfach nicht hierher, weil sie nicht wie wir sind. Einerseits werden zufällige wie nebensächliche äußerliche und kulturelle Eigenheiten zu Grundsatzfragen aufgeblasen – als ob wegen eines Flüchtlings das Weizenbier ausginge! Andererseits wird bei wesentlichen Auffassungsunterschieden – wie bezüglich der Gleichstellung der Frauen – kein offener Dialog geführt, sondern allen Muslimen pauschal unterstellt, dass sie in diesem Punkt dieselben unpassenden Ansichten aufweisen würden. Was sich tautologisch daraus ergibt, dass sie von Natur aus Fremde, sogar besonders „fremdartige Fremde“ sind.

Es gibt unterschiedliche „Identitäten“ – zumindest in dem Sinne, dass Menschen sich als Personen über ihre Eigenschaften, Eigenheiten, Werte und Überzeugungen definieren. Problematisch wird es aber dann, wenn dabei übersehen wird, dass diese Persönlichkeitselemente nicht qua Herkunftsregion fest verwachsen in einer Person stecken, sondern selbst Resultat zufälliger Entwicklungen sind, die von Ort und Zeit der Geburt bis zu besonderen familiären Einflüssen reichen. Dass man ohne Identität nicht leben kann, heißt noch lange nicht, dass jenes Sammelsurium an Ansichten, Symbolen und Überzeugungen unabdingbar ist, das einem aus einer zufälligen biographischen Situation heraus anhaftet.

Beachtet man dies, schaut man auf die eigene wie fremde Identität nicht mehr mit der abgrenzenden Absolutheit, wie sie religiösen und nationalistischen Fanatikern eigen ist. Vor allem die Zugehörigkeit zu nationalen Kollektiven ist eine von der politischen Herrschaft, den Staaten selbst vorgenommene Etikettierung. Nichts an der permanent bemühten religiösen, nationalen, kulturellen oder sozialen Identität ist einfach gott- oder naturgegeben und deshalb kritiklos vorauszusetzen.

Bildung ist Voraussetzung von gelungener Integration. Eine rationale Diskussion zu diesem Thema befasst sich daher mit den Ursachen des geringen Bildungsniveaus und der Armut in der migrantischen Unterschicht, als auch und vor allem mit unserem Wirtschaftssystem, dessen Kritik inzwischen eines der hartnäckigsten politischen Tabus darstellt; nur noch vergleichbar mit der Tabuisierung der Sklaverei in der Antike.

Die Flüchtlinge kommen nicht deswegen, um die Qualifikationsprobleme und Arbeitskräftenachfrage der deutschen Wirtschaft zu befriedigen; sie werden als an Leib und Leben bedrohte Asylbewerber definiert und aufgenommen. Inwieweit dann Integration möglich und erwünscht ist, hängt vor allem von der herrschenden Ökonomie und deren Bedürfnissen ab. Man sollte nicht so tun, als wenn der „Normalbürger“ etwas zu sagen hätte; Flüchtlinge werden sowieso nicht gefragt. Man muss analysieren, unter welchen Bedingungen Flüchtlinge in eine kapitalistische Hochleistungsökonomie wie die deutsche integriert werden können. Nationalistische Debatten, die so tun, wie wenn „wir“ über die Flüchtlingsintegration zu befinden hätten, gehen an den wirklichen Machtverhältnissen und Rahmenbedingungen vorbei.

Man muss wissen, worum es beim anti-westlichen, religiös aufgeladenen Terror eigentlich geht: Er reflektiert die Unzufriedenheit der dem globalen Kapitalismus amerikanischer Prägung unterworfenen Bevölkerungen mit den Resultaten, die ihnen diese Unter- und Einordnung eingebracht hat: Zwar werden ihre korrupten politischen und ökonomischen Eliten für ihre geo- und rohstoffpolitischen Dienstleistungen als Vasallen der kapitalistischen Industriestaaten bestens genährt. Aber für die Masse der ansässigen Menschen springen nur wenige arbeitsintensive und oft auch noch ruinöse Arbeitsplätze heraus, wie z.B. die Auslagerung der amerikanischen Jeans-Fertigung nach Tunesien oder Ägypten.

Es hängt viel von der ökonomischen Integration ab: Wer seinen Lebensunterhalt verdienen kann, ein vernünftiges Dach über dem Kopf hat und dessen Kinder in der Schule klar kommen, hat keinen Grund, sich aus einer frustrierenden Erfahrung der Ablehnung heraus pointiert von seiner Umgebung abzugrenzen.

Dreh- und Angelpunkt sind die ökonomischen Verhältnisse: Was der moderne Kapitalismus in Deutschland vor dem Hintergrund von Euro-Krise, diversen Rationalisierungswellen und einem expandierenden Billiglohnsektor, der Masse der Zuwanderer zu bieten hat, ist eine eigene Diskussion wert, die aber niemand so führen will – da ist das aufgeblasene Geschrei über die Fremdartigkeit der Flüchtlinge schon einfacher, aber auch dümmer.

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