05.10.2015

Ich weiß nicht, warum ich den Gedankenkram eigentlich hierein schreibe. Tagebuch … Früher, zumindest unsere Jugendsprache: Ausquetschbuch. Das waren auch die Poesiealben der Mädels. Und da war der Begriff schon alt. Ausquetschbuch klingt mistig! Was soll ich ausquetschen? Etwa mich selbst?! Ich bin mir nicht so sicher, ob meine eigenen Gedanken momentan Sinn machen …

Die Türkei fängt einen russischen Jet an der türkisch-syrischen Grenze ab. Gefahr für den türkischen Luftraum? Keine Ahnung! Könnte mich einlesen; aber mal ehrlich: was interessiert es mich? Ist die Information wichtig, gar lebenswichtig? Nein! Ist morgen schon wieder überholt. Allein die Diskussion: Gegen den Islamischen Staat. Yeap! Alle sind sich einig. Ob mit Assad oder ohne? Keiner ist sich einig! Erste Stimmen kommen schon wieder auf, er wäre ja an sich ganz „nett“ – salopp ausgedrückt – Zusammenarbeit also nicht ausgeschlossen! Die Putin-Anhänger klatschen, die Amerikaner und der Westen reagieren verschnupft. Wen oder was bombardiert Putin? Den IS oder auch Rebellen, die gegen Assad kämpfen? Und was ist mit dem Krankenhaus in Kundus, im Hinblick auf den amerikanischen Angriff? Alles nur Propaganda … Wessen? Der Russen? Was ist mit unserer? Haben wir keine? Wem soll ich glauben? Blickst Du noch durch, Tagebuch?! Schüttelst auch den Kopf, kann ich verstehen!

Es gibt einen Film. Der ist neu! „Leberkäseland“. Die Problematik, die darin geschildert wird ist die, wie ich eine fortschrittliche türkische Familie in einer rückständigen Kleinstadt integriere. Integrieren heißt nicht assimilieren. Gut so! Aber integrieren bedeutet doch, einfügen eines Fremden in das Bestehende. Mal grob gesagt … Heißt das jetzt auch, dass man sich degenerativ entwickeln muss, um sich zu integrieren? Nach dem Motto: Zurück ins Mittelalter?! Alter, das halte ich für eine ganz schöne Zumutung. Man stelle sich den integrationswilligen Flüchtling vor. Der hat doch Anspruch darauf, dass ich ihm erkläre, wie das bei uns funktioniert. Wenn die Person jetzt einen Universitätsabschluss hat: Kann ich die dann in irgendein Kuhdorf setzen? „Internet kommt in 5 Jahren …“. Die müssen doch denken, wir haben sie nicht mehr alle. Integration gut und schön, aber hat schon jemand einmal über die Definition nachgedacht? Wenn viele an der Integration scheitern, dann eventuell, weil ihnen der Maßstab fehlt. An was soll man sich anpassen?! Nee, Tagebuch, die Frage muss man mal stellen …

Henning Mankell, der geistige Vater von Kommissar Wallander, ist tot. Seine Bücher bewegten nicht nur Schweden, er wurde weltweit verlegt. Ich hab nicht alle seine Bücher gelesen. Die, die ich gelesen habe, waren super. Die Wallander-Filme kenne ich alle. Die sind auch spitze! Ich denke, wir sind kulturell ein Stück ärmer geworden. Dabei sagte er noch letzten Monat in einem Interview, es ginge ihm soweit gut. Das Leben und die Zeit können grausam sein. Er möge in Frieden ruhen! Jedes Mal, wenn ich ein Buch von ihm aufschlage oder wenn Krimitime ist, wird er im Gedanken dabei sein. Tagebuch, verneigen wir uns vor einem großen Geist!

Hast Du die Bilder in den sozialen Netzwerken gesehen, Tagebuch? Aus England und Italien, Piemont? Dort hatte es schon geschneit! Alter, ich glaube, wir gehen einem langen und harten Winter entgegen. Im August war noch heißer Sommer … Über 40° Celsius. Was heißt hier: „Ach, nee“?! Ja, die Zeit, sie rinnt einem wie Sand durch die Finger. Ich habe einfach noch keine Lust, mich für den Winter einzumotten. Aber die Pflicht ruft! Nicht mehr lange und es heißt morgens wieder Eiskratzen, im Schnee zur Arbeit, Stau wegen Glätte, und, und, und.

Ein Vierteljahrhundert Wiedervereinigung. Radio, Fernsehen, Zeitung, Internet. Wo du hinguckst! Die Reise in die Konsumwelt! Ich glaube, es steckte nicht immer das Paradies dahinter … Jedenfalls nicht für jeden.

Die Jugendlichen sind uns, was gendergerechte Sprache angeht, voraus. Im Radio hab ich neulich aufgeschnappt: „Äi, Du bist voll die Opferin!“. Na, Ihr Sprachwissenschaftler!? Das ist doch mal was! Ohne viel Gedöns und Regelgeschnörkel …

Heute, an diesem fünften Oktober diesen Jahres.

© Thomas Dietsch

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