Von einer Grundrechtsbindung war der Gesetzgeber bei der Reform des BND-Gesetzes nicht ausgegangen; ihren Anforderungen trug er insofern keine Rechnung.
Das Grundgesetz schütze nicht jeden – so haben Bundesregierung und Bundesnachrichtendienst (BND) jahrelang argumentiert. Es war der zentrale Satz, mit dem gerechtfertigt wurde, dass der BND Menschen im Ausland überwacht. Doch diese Ansicht war falsch. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am 19. Mai 2020 unmissverständlich klargemacht.
Der deutsche Staat sei bei allem, was er tue, an das Grundgesetz gebunden, urteilten die Richter. Auch bei einer Telekommunikationsüberwachung von Ausländer/-innen im Ausland. Es gebe nun einmal grundlegende Menschenrechte wie Kommunikations- und Pressefreiheit, die niemandem vorenthalten werden dürften. Wesentliche Teile des BND-Gesetzes müssen daher umgehend geändert werden.
Die derzeitige Regelung sei aus formalen und inhaltlichen Gründen verfassungswidrig, sagte der künftige Gerichtspräsident Stephan Harbarth bei der Verkündung. Es sei aber möglich, das Gesetz verfassungskonform auszugestalten. In ihrem Urteil halten die Richter zum ersten Mal fest, dass der deutsche Staat das Fernmeldegeheimnis und die Pressefreiheit auch im Ausland wahren muss.
Konkret geht es um die Vorschriften für die sogenannte strategische Fernmeldeaufklärung im Ausland. Dabei durchforstet der BND ohne konkreten Verdacht große Datenströme auf interessante Informationen.
Deutsche Bürger/-innen dürfen nicht auf diese Weise überwacht werden. Der BND versucht deshalb, ihre Kommunikation vor der inhaltlichen Auswertung auszusortieren. Die gewonnenen Daten werden auch für ausländische Partnerdienste ausgewertet oder an diese weitergegeben.
Seit Anfang 2017 gibt es im reformierten BND-Gesetz dafür zum ersten Mal eine rechtliche Grundlage (t3n.de). Menschen- und Bürgerrechtler halten diese aber für völlig unzureichend. Es gebe viele Schlupflöcher, Daten von Deutschen würden nicht verlässlich gelöscht. So laufe letztlich jeder Gefahr, zu Unrecht ausgespäht zu werden.
Grundsätzlich haben die Verfassungsrichter keine Einwände gegen eine „strategische Kommunikationsüberwachung“ durch den deutschen Geheimdienst. Sie könne verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein (dw.com), betonte der Senatsvorsitzende Harbarth. Dies beruhe auf dem „überragenden öffentlichen Interesse an einer wirksamen Auslandsaufklärung im Interesse der außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland“.
Schon 1999 hatte sich Karlsruhe damit auseinanderzusetzen, ob deutsche Geheimdienste auf der ganzen Welt und jedem gegenüber an Grundrechte gebunden sind. Damals begnügten sich die Richter aber mit einer allgemeinen Feststellung. Die Richter entschieden, dass sich die Verfassung nicht darauf beschränke, die innere Ordnung des deutschen Staates festzulegen. In Grundzügen bestimme das Grundgesetz auch sein Verhältnis zur Staatengemeinschaft. Was das konkret bedeutet, blieb offen. Jetzt holte Karlsruhe die Klärung nach.
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) begrüßte den Richterspruch. Er sei ein „Sieg für die Pressefreiheit auf ganzer Linie“ (DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall). „Ein Geheimdienst, der die Demokratie schützen soll, darf nicht wichtige demokratische Grundwerte mit Füßen treten“.