Historiker fühlen sich an das Jahr 1212 erinnert. Damals wollten politisch beseelte Kinder ebenfalls mit allerlei Seefahrer-Spektakel die Welt retten, predigten inbrünstig für Armut wie für Gott und brachen ins Heilige Land auf. Ihr Anführer hieß Nikolaus, minderjährig wie Greta und ebenso charismatisch, er trug ein Kreuzzeichen aus Schiffstauen bei sich. Auch ihm flogen die Herzen der damaligen Zeit zu. Er versprach Kindern, die sich um ihn geschart hatten, ein Wunder: Das Meer würde sich in Genua teilen und so würden sie trockenen Fußes nach Jerusalem gelangen. Es kam anders, der friedliche Kinderkreuzzug scheiterte, doch die Faszination vor dem Kind als moralischem Mahner blieb im europäischen Unterbewusstsein für Jahrhunderte erhalten.
Auch Gretas Segeljachtfahrt wird vielfach kritisch kommentiert, weil es sich um eine der teuersten Rennjachten der Welt handelt, weil ihr „Team Malizia“ aus Monaco stammt, aus einem Steuerparadies, weil das Schiff einem ominösen Stuttgarter Immobilienmillionär gehört, weil man Greta unnötig in atlantische Sturmgefahren begibt. Eine Sprecherin des Teams sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Reise könnte für Thunberg je nach Wetterverhältnissen recht unruhig werden und ergänzt lakonisch: „Aber Greta ist ein mutiges Mädchen, sie wird das locker hinkriegen“ (n-tv.de).
Thunberg hatte medienwirksam angekündigt, möglichst unter völliger Vermeidung von CO2 zum Klimagipfel nach New York zu reisen. Skipper Boris Herrmann hatte daraufhin angeboten, Thunberg mit der Rennyacht seines Teams über den Atlantik zu segeln. Anschließend rührte das „Team Malizia“ die Werbetrommel und profitierte vom globalen Medienrummel um Thunberg. Waren Herrmann und seine Yacht zuvor nur in der Seglerszene bekannt, schaffte er es nun weltweit in die Abendnachrichten.
Das Rennboot mit roten Tragflügeln und einem Rumpf aus Carbon ist nur auf Geschwindigkeit getrimmt. Carbon ist besonders geeignet, wenn ein Fahrzeug leicht sein soll. Allerdings ist seine Kohlendioxid-Bilanz umstritten, weil Fasern und Kunststoff in der Regel aus Erdöl hergestellt werden und bei der Produktion viel Energie benötigt wird. Aber kurz vor der Abfahrt ist das kein Thema.
Über den Atlantik reist die Aktivistin, um unter anderem am UN-Klimagipfel in New York im September sowie an der alljährlichen Weltklimakonferenz in Chile im Dezember teilzunehmen. Thunberg geht es darum, den weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen rapide zu senken, damit der Anstieg der globalen Erdtemperatur im Idealfall noch auf unter 1,5 Grad Celsius begrenzt werden kann. Bis heute hat sich die Temperatur bereits um rund ein Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter erhöht. Die Welt müsse auf die Erkenntnisse der Forschung hören und im Kampf gegen die Klimakrise handeln, fordert Thunberg (augsburger-allgemeine.de).
Es wird jedoch Kritik an dem Segeltörn der Klimaaktivistin laut: er sei weniger klimafreundlich, als es den Anschein macht. Denn nach der Ankunft in New York werde die Jacht von etwa fünf Seglern wieder zurück nach Europa gebracht. Diese müssten dafür zunächst in die USA fliegen. Auch Thunbergs Skipper werde die Rückreise aus den USA mit dem Flugzeug antreten. Der Segeltörn löse also sechs Flugreisen über den Atlantik aus – wären Thunberg und ihr Vater geflogen, wären es weniger gewesen. Der Emissionsrechner der Organisation Atmosfair berechne für einen Flug von New York nach Hamburg einen Ausstoß von rund 1.800 Kilogramm Kohlendioxid (faz.net).
Nach Ansicht des Forschers Volker Lilienthal – Professor für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg – sei Greta Thunberg kein Selbstläufer, sondern müsse immer neu mit Aktionen befeuert werden. Man brauche etwas, damit die Journalisten auch immer wieder drauf springen. Greenpeace wähle seine Aktionen ja nicht nur danach aus, ob die wirklich etwas für die Umwelt tun, sondern auch danach, ob diese für die Medien attraktiv seien.
Greta sei für die Medien eine ähnliche Ikone wie der indische Nationalheld Mahatma Gandhi oder der deutsche Studentenführer Rudi Dutschke, so der Hamburger Professor (dpa, tagesspiegel.de). Berichterstattung funktioniere immer über Personalisierung. Wenn in Personen gesellschaftlich virulente Themen gerännen, wenn sie glaubwürdig und attraktiv medienstark verkörpert würden, dann stiegen Medien ein.
Allerdings nimmt Teenager Greta in einer Hinsicht eine Sonderrolle ein: Sie ist insofern geschichtlich neu, als es noch nie ein Kind gab, das eine Tendenz so deutlich verkörperte.