Russlands Präsident Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Erdogan vereinbarten in Sotschi, in der syrischen Provinz Idlib eine entmilitarisierte Zone einzurichten, die Rebellen und Regierungstruppen trennen soll. Auf diese Weise könnte die bevorstehende Schlacht um Idlib vielleicht noch verhindert werden. Nichts wäre den drei Millionen Menschen dort mehr zu wünschen.

Idlib gilt als letzte Rebellenhochburg im Norden Syriens. Dort befinden sich zehntausende bewaffnete Extremisten und Kämpfer der gemäßigten syrischen Opposition, aber auch drei Millionen Zivilisten leben in der Grenzregion zur Türkei (handelsblatt.com).

Es gibt eine Grundsatzfrage für den Fall der Fälle: Nämlich die, ob die Bundesrepublik zu einer Beteiligung an einer gemeinsamen Militäraktion des Westens bereit wäre, sollte Baschar al-Assad in Idlib Giftgas einsetzen. Die Vereinigten Staaten waren mit diesem Anliegen in Berlin vorstellig geworden.

Andrea Nahles hat die Zustimmung, sowohl für die SPD-Fraktion im Parlament als auch im Rahmen der SPD-Beteiligung an der Regierung, kategorisch verneint. Ganz so einfach ist dies jedoch nicht.

Im Kriegsvölkerrecht haben sich einige Länder auf das Verbot chemischer Waffen geeinigt. Bereits 1925 unterzeichneten 36 Staaten das Genfer Protokoll über das „Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder anderen Gasen, sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege“. Der Chemiewaffenkonvention der Vereinten Nationen von 1993 sind bis heute 193 Nationen beigetreten. Damit umfasst der Vertrag 98 Prozent der Weltbevölkerung, so ein sicherheitspolitischer Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (zeit.de).

Auch Syrien hat das Abkommen im vor fünf Jahren unterschrieben, nachdem Barack Obama erwogen hatte, syrische Militäranlagen wegen eines Einsatzes chemischer Waffen zu bombardieren. Hunderte Menschen waren damals in der Region Ghuta östlich von Damaskus elendig gestorben, sie wurden Opfer des Giftgases Sarin. Der Bericht einer unabhängigen, von den Vereinten Nationen eingesetzten Untersuchungskommission stellte fest, dass Baschar al-Assads Luftwaffe für den Giftgasangriff verantwortlich war.

Obama machte seine Drohung nicht wahr, obwohl er den Einsatz von Chemiewaffen zuvor zur „roten Linie“ erklärt hatte. Eine Fehlentscheidung, die Assad und seine Verbündeten Russland und Iran in ihrer brutalen Kriegsführung zusätzlich ermutigte.

Donald Trump hingegen reagierte sofort auf den nochmaligen Einsatz von Sarin durch Assads Luftwaffe. Im April 2017 und ein Jahr später griffen US-Einheiten Stellungen der syrischen Armee an, beim zweiten Mal unterstützt durch Frankreich und Großbritannien. Die Bundesregierung beteiligte sich nicht, nannte die Aktion im April 2018 aber „erforderlich und angemessen“.

Chemiewaffen dürfen, wie biologische und atomare Waffen, nicht im Krieg verwendet werden. Wenn dieses Tabu aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges nicht verteidigt wird, dann fallen auch die letzten Schranken einer Kriegsführung; nichts anderes als Terror gegen die Zivilbevölkerung.

Deutschland hat 2014 einen Teil der syrischen Giftgasbestände vernichtet, die vom Regime übergeben wurden. Die technischen Fähigkeiten und Einrichtungen der Bundeswehr sind dafür geeignet. Assad aber hat die Staatengemeinschaft betrogen und entgegen seiner Beteuerungen größere Bestände an Chemiewaffen behalten. Mindestens zweimal hat er sie erneut eingesetzt, in Chan Scheichun 2017 und in Duma 2018.

Wenn die Vereinbarung der Herren Putin und Erdogan hält und es nicht zur Schlacht um Idlib kommt, muss über eine Beteiligung Deutschlands an einem militärischen Eingreifen nicht entschieden werden. Aber die Grundsatzfrage ist damit nicht aus der Welt: Kann es verantwortungsvolle deutsche Sicherheitspolitik sein, den Einsatz von Massenvernichtungswaffen – geächtet von der gesamten Staatengemeinschaft – mit verschränkten Armen hinzunehmen? Die Frage zu stellen, heißt sie zu verneinen.

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